Flugbahnoptimierung

Mess- und Steuerungsmethoden im Skispringen

Beitrag von  Dipl. Sportwiss. Johannes Petrat und Prof. Dr. Ansgar Schwirtz, LS für Biomechanik im Sport, TUM, Redaktionelle Mitarbeit: Fabian Kautz

Skispringen gilt als die Formel 1 des Winters. Die spektakuläre Ski-Disziplin zählt zu den komplexesten Wintersportarten.

Bereits seit 1927 wird Skispringen unter physikalischen Gesichtspunkten erforscht. Für die Erfassung relevanter Parameter im Skisport kommen heutzutage moderne Sensoren zum Einsatz, die Bewegungen dreidimensional quantifizieren. Im nachfolgenden Bericht erfahre Sie mehr über die Funktionsweise der Sensoren und die Entwicklung moderner Modelle für diese komplexe Wintersportart.

Komplexität des Skispringens

Skispringen gilt als die Formel 1 des Winters. Die spektakuläre Ski-Disziplin zählt zu den komplexesten Wintersportarten. Athleten wie der Deutsche Weltklasse-Springer Andreas Wellinger müssen in verschiedenen Phasen (Anlauf, Absprung, Flug und Landung) unterschiedliche Bewegungstechniken perfekt beherrschen. Gleichzeitig müssen diese Techniken stets in Abhängigkeit von ständig wechselnden Umgebungsbedingungen wie etwa Wind oder Schnee auf unterschiedlichen Sprungschanzen abgerufen werden.

Das Körper-Ski-System des Skispringers ist dabei einer Vielzahl an interagierenden Kräften ausgesetzt, die der Springer kontrollieren und steuern muss. Fehler reduzieren nicht nur die Weite des Sprungs, sondern steigern gleichzeitig das Verletzungsrisiko.

Erste Bewegungsgleichungen 1927

Im Wettstreit um Medaillen und Weltcupsiege wird seit jeher versucht, mit wissenschaftlicher Unterstützung Spitzenleistungen im Skispringen weiter voranzutreiben – und damit Vorteile für Athleten zu generieren. Beispielsweise gewann der Schweizer Simon Ammann 2010 bei den Olympischen Spielen in Vancouver die Goldmedaille auch dank einer veränderten Bindung, die es ihm ermöglichte, in der Luft schneller die aerodynamisch günstige V-Position einzunehmen.

Im sportwissenschaftlichen Kontext wird die Modellierung des Skispringens unter physikalischen Gesichtspunkten bereits seit etwa 90 Jahren erforscht. Schon 1927 veröffentlichte der Schweizer Ingenieur Reinhard Straumann Bewegungsgleichungen anhand eines zweidimensionalen Punkt-Massen-Modells des Skispringers. Für verschiedene Aspekte werden ähnliche zweidimensionale Modelle bis heute angewendet.

Allerdings ist die Aussagekraft derselben dadurch begrenzt, dass die Dynamik des Skispringers nur innerhalb der Symmetrieebene beschrieben werden kann. Veränderungen im Bereich der Bewegungstechniken und Materialien haben die Anwendbarkeit älterer Modelle auf den heutigen Skisprung verringert. Gleichzeitig wurden die Modelle immer wieder auch an neue Sprungstile angepasst, zuletzt entscheidend im Rahmen der Einführung des sog. „V-Stils“ von Jan Böklov im Jahre 1985.

Moderne dynamische Modelle

Moderne angepasste, dynamische Modelle wurden unter Anwendung von Daten aus aerodynamischen Versuchen im Windkanal, die unterschiedliche Sprungstile sowie verschiedene Materialien mit einbeziehen, sukzessive weiterentwickelt. Heute setzen die Analysen für die Simulation auf Mehrkörpermodelle mit bis zu 21 dreidimensionalen Körpersegmenten. Diese haben den Vorteil, dass zusätzlich auch Rotationsdynamiken erfasst werden können.
 

Doch welche weiteren Verbesserungen sind möglich? Um Innovationen zu entwickeln und die Leistung der deutschen Athleten um Severin Freund, Richard Freitag und Wellinger zu optimieren, kooperiert an der Technischen Universität München (TUM) die Professur für Biomechanik im Sport der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften – neben dem Olympiastützpunkt Bayern und dem Deutschen Skiverband (DSV) – mit dem Lehrstuhl für Flugsystemdynamik der Fakultät für Maschinenwesen.

Der Fokus des Projekts liegt auf der biomechanischen und flugdynamischen Modellierung und Simulation eines Skisprungs sowie der Entwicklung und Anwendung optimaler Steuerungsmethoden. Dadurch soll eine Leistungssteigerung insbesondere in der Flugphase erreicht werden. Darüber hinaus soll das Verletzungsrisiko minimiert werden.

Erfassung relevanter Parameter

Für ihre Analysen verwenden die Forscher verschiedene Technologien. Um eine exakte dreidimensionale Erfassung der einzelnen Abläufe modellieren zu können, werden Inertialsensoren (IMU) eingesetzt. Sechzehn der elektronischen Messeinheiten werden am Körper des Skispringers angebracht, ein weiteres auf jedem der ca. 2,40 bis 2,70 Meter langen Skier. Während des gesamten Sprungs zeichnen die Sensoren verschiedene Parameter aus dem Bereich der Kinetik und Kinematik auf, wie beispielsweise die Körper-Skiwinkel, (Winkel-)Geschwindigkeiten sowie die Beschleunigung. Ergänzend wird am Helm des Athleten ein GPS-Sensor angebracht, der die Flugbahn abbildet.

Dreidimensionale Quantifizierung

Mithilfe der Daten kann anschließend die Bewegung des Körper-Ski-Systems präzise dreidimensional quantifiziert werden – und auf dieser Grundlage ein Feedback an den Springer gegeben werden. Zudem berechnet das Team des Lehrstuhls für Flugsystemdynamik auf der Grundlage mathematischer Modelle aus den empirischen Daten ideale Flugkurven und bestimmt Optimalausführungen und Winkel für die Körperteile des Springers sowie die Ski.

Denn stellt der Athlet in der Luft die Ski beispielsweise nicht plan, sondern verkantet diese zu stark, führt dies zwar zu einer höheren Geschwindigkeit, erzeugt gleichzeitig aber einen geringeren Auftrieb – als Folge werden geringere Weiten erzielt.
Ergänzend zu den Berechnungen und Modellierungen der Flugphase ermöglichen hochauflösende Kameras, die Bilder in einer Frequenz von 200 Hz aufzeichnen, eine detaillierte Videoanalyse der Bewegungs- und Flugtechnik.

Sensoren im Schuh und Schanzentisch

Weitere Daten liefern Kraftmesssohlen im Schuh. Diese sind mit verschiedenen elektronischen Sensoren ausgestattet und senden ihre Daten drahtlos an entsprechende Empfänger. Durch die Sohlen können Kraftverläufe und -verteilungen dargestellt werden.

Steht der Athlet bei der Anfahrt richtig auf dem Ski? Welche Kraft kann ein Skispringer beim Absprung generieren? Und wie hoch sind die Kräfte bei der Landung? Gerade der letzten Frage kommt mit Blick auf die Prophylaxe von Verletzungen wie Kreuzbandrissen große Bedeutung zu. Denn eine effiziente Umsetzung der (Telemark-)Technik ermöglicht eine Landung mit vergleichsweise geringer Belastung und ist zudem für das Erreichen eines möglichst hohen Punktwertes im Wettkampf notwendig.

Um den Absprung weiter zu analysieren, werden Kraftmessplatten im Schanzentisch eingesetzt, wie sie beispielsweise in Oberstorf, Hinterzarten und Klingenthal eingebaut wurden. Dadurch kann die Absprungintensität sowie -geschwindigkeit bestimmt und so die Qualität des Absprungs eingeschätzt werden.

3D-Body Scans der Körper des Athleten

Auch der Körper des Athleten wird einer genaueren Betrachtung unterzogen. Durch einen 3D-Body Scan werden anthropometrische Daten erhoben, z. B. der Umfang sowie Volumen und Körpermaße einzelner Körperteile/-segmente. Auf Grundlage dieser Werte können Bewegungstechniken in Relation gesetzt werden und mit Hilfe der weiteren Daten präzise Profile für jeden Springer individuell ermittelt werden. Damit dann bei den Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen deutsche Athleten für Medaillen sorgen.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2018 März/April