Von „Sehr gut“ bis „Champion“

Die SportKreativWerkstatt der TUM wird zur Innovationsmanufaktur

Interview mit Prof. Dr.-Ing. Eckehard Fozzy Moritz 

Im Jahre 2000 wurde die SportKreativWerkstatt der TU München als Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis gegründet. 2012 entsteht daraus die Innovationsmanufaktur, deren Kompetenz über den sportlichen Bereich weit hinaus geht. Die TiB sprach mit Prof. Dr.-Ing. Eckehard Fozzy Moritz über Entwicklungen im Sport und holistische Innovationen.

TiB: Prof. Moritz, vor 15 Jahren war die SportKreativ-Werkstatt mit der Optimierung des Bobs von Olympiasieger Christoph Langen bei den Olympischen Winterspielen in Salt Lake City erfolgreich. In welche Richtung entwickelte sich die SportKreativ-Werkstatt weiter?

Prof. Eckehard Fozzy Moritz: Als Erstes fällt natürlich auf, dass wir jetzt anders heißen und das ist eine Weiterentwicklung: Unsere Kernkompetenz geht heute weit über Sport und Technik hinaus. Im Bereich Innovationen ist unser Wissen viel stärker geworden, insbesondere, wenn es um komplexe Fragen zu Strukturen oder Mensch und Gesellschaft geht.

Zurück zum Spitzensport: Für die Weiterentwicklung der Technik gibt es Experten, aber die eigentliche Frage ist doch: Wie finde ich heraus, was der Spitzensport braucht und was der Nutzen einer Innovation auch für die Gesellschaft ist. Um noch einmal auf Christoph Langen zurückzukommen: Er musste zu einem genau definierten Zeitpunkt in einem ganz speziellen Umfeld der Schnellste sein. Dazu können ganz viele Sachen beitragen, und die gilt es herauszufinden.

TiB: Später wurde bekannt, dass damals die Kufen des DDR-Bobs beheizt wurden.

Moritz: Natürlich wissen wir, dass es einen erlaubten Bereich gibt und einen, den man messen kann. Und dann gibt es noch einen Bereich, der nicht erlaubt ist, aber den man auch nicht messen kann. Und das Beheizen der Kufen war so ein Fall. Aber wir bewegen uns nicht in diesen Grauzonen, wir betrachten das „Ganze“. Zu dieser speziellen Methodik habe ich dann vor einigen Jahren das Buch „Die holistische Innovation“ geschrieben.

TiB: Dieser holistische Ansatz reicht aber doch weit über die Optimierung einzelner Sportarten hinaus?

Moritz: Das ist genau der Punkt, denn an uns wurden auch ganz andere Fragen aus ganz anderen Industriezweigen herangetragen, 2010 z.B. von BMW zum Thema „Die Zukunft nachhaltiger Produktion“. Das ist ein sehr komplexes Thema und es stellen sich hier viele Fragen. Das begann mit Gesundheitsaspekten rund um einen indischen Produktionsstandort bis hin zur Reinhaltung von Wasserstraßen bei der Zulieferung. Das umfasste den gesamten Bereich, und man muss sich die Frage stellen, wo man bei der Mobilität anfängt, damit am Ende die Produktion auch nachhaltig ist. Diese Komplexität, die wir hier abbilden, und in die wir – wie es heute so schön heißt – eine „Roadmap“ hineinlegen, gefällt unseren Kunden besonders gut.

Diese Projekte waren letztendlich auch der Grund für die Gründung der Innovationsmanufaktur, denn unsere Industriekunden hatten in ihren internen Prozessen große Schwierigkeiten, die Zusammenarbeit mit einer SportKreativ-Werkstatt zu vermitteln. Das war dann für viele Projekte wie ein Klotz am Bein. Nachdem auch unsere wichtigen Partner aus dem Sportbereich kein Problem mit einer Umbenennung hatten, können wir heute als Innovationsmanufaktur ein viel breiteres Spektrum anbieten.

TiB: Gibt es ein Kernthema bei Ihren Sportprojekten?

Moritz: Ja, und das war immer Teil unseres Masterplans. Kernthema ist die Vermittlung von der Freude an Bewegung, gerade für diejenigen, die keinen Sport machen. Es gibt natürlich die klassischen „Couchpotatoes“, aber viele Menschen würden gerne Sport machen, sie finden für sich aber nicht das Passende. Sportler gehen zum Sport, aber an diese Gruppe muss die Freude an der Bewegung erst herangebracht werden, hinein in ihre physischen, sozialen und emotionalen Welten. Ich muss mir also überlegen, wie ich z.B. Menschen in Hamburg, die gerne in den Bergen mountenbiken gehen würden, ein Erlebnisäquivalent zu den Alpen schaffen kann. Vielleicht könnten das in diesem Fall kommunale Tretboote auf der Außenalster sein, wo man morgens und abends pendeln kann und gleichzeitig in einer Gruppe ist.

Die Idee der Freude an Bewegung haben wir immer wieder aufs Tablett gebracht, und diese Borniertheit zahlt sich langsam aus. Es ist für die Menschen gut und auch für die Sozialsysteme. Und es ist auch eine ökonomische Chance, nicht nur für die Sport-, sondern auch für die Landschaftsarchitektur und die Möbelindustrie etc. Vielleicht geht das Geld dann weg von der Medizintechnik und der Pharmazie, aber damit habe ich persönlich kein Problem. Denn das ist nur eine Verlagerung, und Prävention ist immer besser als Reparatur. Das war sehr lange schwer vermittelbar.

TiB: Gibt es für die Wahl dieses Kernthemas Gründe?

Moritz: Ja, einige, aber ein wirklich großes Hindernis ist die Notwendigkeit von evaluierbaren, evidenzbasierten Ergebnissen. In unserem Beispiel wäre es die Frage, wie ich jetzt genau die Wirkung dieser Tretboote auf die Hamburger Bevölkerung messen kann. Vielleicht geht das bei einer relativ stark kontrollierten Gruppe, aber ich will die Teilnehmer ja gerade nicht zu etwas zwingen, es soll ja freiwillig sein. Wenn wir jetzt einen Bewegungsspielplatz im Olympiapark bauen, weiß jeder, dass das cool und toll ist, aber es ist schwer evaluierbar und nur eingeschränkt evidenzbasiert. Die Förderrahmenbedingungen sind ein ganz wesentlicher Punkt und sie hängen auch damit zusammen, dass ein Schaden oder eine Krankheit meistens einigermaßen quantifizierbar sind, Gesundheit als subjektives Gefühl aber nicht. Und dafür bekomme ich auch schwierig Geld. Ich suche in solchen Fällen dann eher krampfhaft nach einem Weg zur Quantifizierung, z.B. durch Messen von Vitalparametern.

TiB: Was halten Sie in diesem Zusammenhang von Wearables?

Moritz: Bei den Wearables können Sie heute schon einen Effekt sehen, der an Wahnsinn grenzt: Der Mensch verliert mit der Zeit sein eigenes Gesundheitsbewusstsein, denn man glaubt dem Sensor mehr als seinem Gefühl. Die Notwendigkeit des kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolgs treibt doch manche Blüten. Für mich bleibt das allerwichtigste Ziel die Lebensfreude – so lange wie möglich – aber alle meine Vorstöße in diese Richtung wurden in der Regel nur belächelt, obwohl das gerade für Ältere immer wichtiger wird. Ich merke aber, dass sich hier ganz langsam die Einstellung ändert.

TiB: Seit 2010 ist die SportKreativ-Werkstatt Teil des „Ski-Innovations-Netzwerk – SINN“. 2011 wird sie Innovations- und Technologiepartner des Deutschen Skiverbandes. Gibt es hier aktuelle Aktivitäten?

Moritz: Zurzeit haben wir ein Projekt für Gesundheitsförderung, das wir international aufsetzen dürfen. Das ist sehr schön und es ist für uns eine Riesenauszeichnung, dass wir jetzt in die Spitzenclusterförderung gekommen sind.

TiB: Apropos Skisport: Sie haben für BioGlizz, einen Schneeersatz aus Algen, den innovation award gewonnen. Wie funktioniert BioGlizz?

Moritz: Skifahren, sprich Gleitsport, ist für viele Menschen eine Freude und hat einen hohen gesundheitlichen Wert. Jetzt gibt es hier kaum mehr Schnee und woanders gar keinen mehr. Als ich dann die Idee mit einem biologischen Material hatte, das gut ist zum Gleiten, sich bei Belastung nicht zusammenschiebt und nachwächst, haben wir zusammen mit den Biotechnologen der TU Dresden und dem Textilforschungsinstitut in Denkendorf ein Material aus Algen mit einem viskoelastischen Untergrund entwickelt. Für die Praxistauglichkeit suchen wir jetzt zusammen mit dem Helmholtz-Zentrum in Leipzig Forschungsmittel.

TiB: Gibt es noch andere Entwicklungen?

Moritz: Das Highlight in technischer Sicht ist ein Apparat, der sicherstellt, dass sich die Skirennsportler das Kreuzband nicht so schnell reißen. Im Vorfeld der Olympischen Spiele in Sotchi war ein weiterer Schwerpunkt die Optimierung der Trainingsstrategie im Sinne von Wie komme ich von „Sehr gut“ zu „Champion“ .

TiB: Sie erarbeiten Innovationen holistisch, also ganzheitlich. In der Regel werden Innovationen „geheim“ gehalten. Kennen Sie dieses Problem auch?

Moritz: Viele reden vom Ideenklau, was Innovationen betrifft, aber hier verstehe ich oft die Angst gar nicht. Denn zu einer guten Idee gehört immer auch ein Realisierungsplan, ein soziales Realisierungsnetzwerk und die Glaubwürdigkeit in einem Themenfeld. Die reine Idee lässt sich nicht so einfach replizieren.

TiB: Es gibt sicher eine hohe Erwartungshaltung bei Ihren Kunden, was die Erfolgschancen von innovativen Ansätzen angeht.

Moritz: Ja, und auch Ungeduld und vor allen Dingen Unsicherheit. Man muss komplex denken und handeln, um mittel- und langfristig zielgerichteten Erfolg zu haben. Das ist heute nicht en vogue. Jeder will sofort wissen, was dabei herauskommt und wann, aber das ist nicht die Natur von Innovation. Ich will die Zukunft nicht vorhersagen, ich will sie gestalten.

Das Interview führten Fritz Münzel und Silvia Stettmayer

Informationen zur Innovationsmanufaktur

Weitere Informationen zur Innovationsmanufaktur finden Sie unter www.innovationsmanufaktur.com.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2018 März/April