Das Europäische Patent – ein Erfolgssystem wird fortgeschrieben

Grußwort von Christoph Ernst, Vizepräsident Generaldirektion, Rechtsfragen und internationale Angelegenheiten, Europäisches Patentamt

Es freut mich sehr, in dieser Ausgabe zum Thema Patente ein Grußwort an Sie richten zu dürfen. Der Zeitpunkt ist dabei ein ganz besonderer: Europa feiert in diesem Jahr nicht nur das 50-jährige Bestehen des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ). Sondern es ist auch das Einheitspatentsystem in Kraft getreten mit dem einheitlichen Patent mit Schutzwirkung für 17 EU-Mitgliedstaaten. VDI und VDE haben maßgeblich zum Erfolg des europäischen Patentsystems beigetragen, und ich bin zuversichtlich, dass Sie auch in Zukunft eine entscheidende Rolle bei der Innovation in Europa spielen werden.

Das europäische Patentsystem: eine Erfolgsgeschichte

Das europäische Patentsystem ist aus einer Kombination von Mut, Zusammenarbeit und Entschlossenheit hervorgegangen. Am 5. Oktober 1973 unterzeichneten 16 Staaten in München, darunter auch Deutschland, das Europäische Patentübereinkommen, das die Grundlage für das europäische Patentsystem bildet und einen gewaltigen Fortschritt bei der europäischen Zusammenarbeit bedeutet. Bis heute sind dem EPÜ 39 europäische Staaten beigetreten; zudem können europäische Patente auf fünf weitere Staaten (Bosnien und Herzegowina, Kambodscha, Marokko, Moldau und Tunesien) erstreckt bzw. dort validiert werden. Die Architekten des EPÜ haben eine einheitliche Rechtsgrundlage geschaffen, mit der Erfindungen durch ein zentrales Erteilungsverfahren beim Europäischen Patentamt [1] geschützt werden können.

Es ist unbestritten, dass Patente entscheidend dazu beitragen, Innovationen zu schützen, Investitionsanreize zu schaffen, die Zusammenarbeit zu fördern und die Wirtschaftsleistung zu steigern. Die 2021 vom EPA und dem EUIPO durchgeführte Studie über geistige Eigentumsrechte und Unternehmensleistung in der EU hat den engen Bezug zwischen den IP-Rechten („Intellectual Property“) einer Firma und ihrer Wirtschaftsleistung bestätigt: So erzielten Unternehmen, die Inhaber von Patenten sind, um 36 % höhere Einnahmen pro Mitarbeiter und zahlten um 53 % höhere Löhne und Gehälter. Diese Auswirkungen von IP-Rechten sind im KMU-Sektor besonders ausgeprägt.

Stärkerer Schutz von Innovationen durch hochwertige Patente

In den letzten fünf Jahrzehnten hat sich das Europäische Patentamt als weltweiter Pionier bei der Erteilung von soliden Schutzrechten für Innovatoren sowie als anerkannter Akteur im internationalen Patentsystem mit einem ausgedehnten Partnernetzwerk etabliert. Wir haben Erfinderinnen und Erfinder weltweit erfolgreich dabei unterstützt, das Potenzial von Patenten in Europa inmitten einer wachsenden Zahl von Anmeldungen nutzbar zu machen. Ein europäisches Patent kann heute in 44 Ländern validiert und durchgesetzt werden, was einem Markt von rund 700 Millionen Verbrauchern entspricht.

Diese Leistung wird dadurch untermauert, dass im EPA die Qualität unserer Prozesse und Produkte im Mittelpunkt der Tätigkeit steht. Unsere Prüfungsabteilungen bestehen stets aus drei Mitgliedern, und wir legen die Messlatte für Qualität immer höher, indem wir umfangreiche Datenbanken und neue Tools mit künstlicher Intelligenz bereitstellen, die bei der Durchführung vollständiger und genauer Patentrecherchen helfen. Das EPA investiert kontinuierlich in die Rekrutierung von Spitzentalenten, in Prüferfortbildungen und in die zunehmende Digitalisierung des Patenterteilungsprozesses, um seine hohen Qualitäts- und Effizienzstandards zu wahren. Im vergangenen Jahr hat das EPA eine neue Charta für Patentqualität verabschiedet, in der die Leitlinien für die Qualitätspolitik des EPA festgelegt sind und die unser Streben nach Exzellenz wiedergibt. Dank dieses kontinuierlichen Einsatzes ist das EPA als weltweit führendes Patentamt in Sachen Qualität anerkannt.

Das Einheitspatentsystem: Beginn einer neuen Ära der europäischen Innovation

Europa hat in diesem Jahr weitere mutige Fortschritte gemacht: Am 1. Juni trat das Einheitspatentsystem in Kraft – die wichtigste Entwicklung in der Geschichte des europäischen Patentwesens seit der Unterzeichnung des Europäischen Patentübereinkommens. Dabei wurden ein „Einheitspatent“ eingeführt, ein europäisches Patent mit einheitlicher Schutzwirkung für das Hoheitsgebiet der 17 an dem neuen System teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten.

Das Einheitspatentsystem bietet niedrigere Kosten, straffere Verfahren und mehr Transparenz durch ein vom EPA verwaltetes gemeinsames Validierungsverfahren. Es sorgt außerdem für mehr Rechtssicherheit und Transparenz durch die Schaffung eines neuen einheitlichen Europäischen Patentgerichts, des EPG, das europäische und Einheitspatente durchsetzen wird und dessen Entscheidungen einheitliche Rechtswirkung in allen teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten haben werden. Viele Nutzer profitieren bereits von den Vorteilen: In den ersten drei Monaten seit Inkrafttreten des Einheitspatents wurden fast 8 000 Einheitspatente registriert, vor allem von Erfindern und Erfinderinnen aus Deutschland und den USA, gefolgt von Frankreich, der Schweiz, China und Schweden.

Laut Prognosen unserer Wirtschaftsexperten dürfte das Einheitspatentsystem die jährlichen Handelsströme in den teilnehmenden Ländern um 2 % und ausländische Direktinvestitionen in Hochtechnologiesektoren um 15 % erhöhen. Darüber hinaus wird es Innovation fördern, indem es den Zugang zum Schutz Geistigen Eigentums auf einem riesigen Markt erleichtert: Die 17 derzeit am Einheitspatentsystem teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten haben gemeinsam ein geschätztes BIP von mehr als 12 Billionen EUR (das entspricht fast 80 % des BIP der gesamten EU) und eine Bevölkerung von fast 300 Millionen Menschen.

Mit ihrer Innovationskraft stellen bayerische Ingenieure und Ingenieurinnen sicher, dass Bayern wie in den vielen Jahren zuvor den Spitzenplatz bei den beim EPA eingereichten Patentanmeldungen aus Deutschland einnimmt. Das neue europäische Patentsystem wird diese Innovationskraft weiter stärken und dafür sorgen, dass wir in fünf Jahrzehnten das 100-jährige Jubiläum des europäischen Patentsystems feiern können.

Information

[1] Das EPA hat seinen Hauptsitz in München, eine Zweigstelle in Den Haag sowie Dienststellen in Berlin, Wien und Brüssel.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 06/2023 NOV/DEZ

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