Zukunftstechnologien und ihre Entwicklung

Beitrag von Prof. Dr. Lothar Abicht, Unternehmer, Honorarprofessor für Erwachsenenbildung, Forscher, Trainer und Autor

Prägend für die aktuelle Etappe der Technologieentwicklung sind zwei Entwicklungspfade, die viele Überschneidungen aufweisen.

Entwicklungspfade der Technologie

Dauerthema ist die digitale Transformation, die auch in den nächsten Jahrzehnten weitergehen wird. Sie führt zur Umwälzung der Geschäftskonzepte ganzer Branchen, welche nicht selten disruptiven Charakter hat. Am Beispiel der Medienbranche lässt sich die Disruption gut nachvollziehen. Hier kam es mit dem Übergang von Tonträgern (Schallplatte, Audiokassette, CD) zum Streaming zur kompletten Digitalisierung und Verlagerung aller Prozesse ins Netz. In den nächsten Jahren werden weitere Branchen folgen. Digitale Systeme zur Informationsverarbeitung dringen schrittweise in alle Bereiche der Technik und des gesellschaftlichen Lebens ein und werden so allgegenwärtig wie elektrische Systeme im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Die Welt des Digitalen dominiert zunehmend die physische Welt (vergl. Janszky/ Abicht 2018). Der zweite Entwicklungspfad beschränkt sich nicht auf eine einzelne Technologie. Wir erleben den Beginn einer grundlegenden Umwälzung aller aktuell und zukünftig von Menschen genutzten Technologien in Richtung Klimaneutralität. Konkret bedeutet das den schrittweisen völligen Verzicht auf die Verwendung fossiler Roh- und Brennstoffe und damit die Vermeidung der Freisetzung klimaschädlicher Gase. Dekarbonisierung und Defossilisierung sind die zugehörigen Schlagworte. Diese in der Welt der Atome stattfindende Transformation der technologischen Welt bezeichnen wir als fünfte industrielle Revolution (vergl. Abicht/Stöttner 2024).

Beispiel: Künstliche Intelligenz

Als zentrales Merkmal der aktuellen Phase der digitalen Transformation gilt meist der Durchbruch der künstlichen Intelligenz (KI) und die Kooperation von Menschen mit KI-gesteuerten autonomen Robotern. KI-Systeme gibt es seit Jahrzehnten und sie sind den Menschen schon länger in spezialisierten kognitiven Aufgaben weit überlegen. In den letzten Jahren hat insbesondere ihre Fähigkeit zum automatisierten Lernen (Deep Learning) dazu beigetragen, sie zum unverzichtbaren Bestandteil von Technik aller Art – von Robotik über Kommunikationsnetze bis hin zu Fahrzeugen und Gesichtserkennung – zu machen. Seit Beginn dieses Jahres explodiert die erst am Anfang ihrer Entwicklung stehende Anwendung von sogenannter generativer KI, die auf der Kombination von großen Sprachmodellen mit Chatfunktionen beruht (z.  B. Textgenerator Chat GPT, Bildgenerator Midjourney). Sie ermöglicht eine Kommunikation über Sprache und besitzt u.a. die Fähigkeiten, Texte unterschiedlichster Art zu generieren, täuschend echte Bilder und Videos zu schaffen, Musik zu komponieren, Computercode zu schreiben und Roboter zu steuern. Waren die Systeme der generativen KI zunächst auf Trainingsdaten aus der Vergangenheit beschränkt, wird ihr Einsatz durch Verbindungen zum Internet und sensorische Verbindungen zur Außenwelt zunehmend ausgeweitet. Klar, dass damit viele Lern-, Lebensund Arbeitsprozesse schon mittelfristig eine neue Strukturierung mit geänderter Funktionsverteilung zwischen Menschen und Maschinen erhalten. Es wird erwartet, dass generative KI die bisher noch unbefriedigenden Produktivitätszuwächse durch Digitalisierung deutlich steigert und insbesondere die Leistungsfähigkeit von hochqualifizierten Wissensarbeitern aus unterschiedlichsten Berufsgruppen wesentlich verbessert (vergl. Abicht 2023).

Beispiel: VR/AR-Systeme

Ein Anwendungsfeld der künstlichen Intelligenz und gleichzeitig eine spezielle Schnittstelle zwischen Menschen und Computern sind Systeme der virtuellen Realität. Aktuell nutzen sie noch die Sinnesorgane des Menschen, insbesondere sein Sehvermögen, um ein Eintauchen in virtuelle Welten im 3-D-Format zu Alle Abb. Abicht ermöglichen. An direkten Verbindungen zwischen Gehirn und Computer wird zwar gearbeitet, aber ihre Anwendungen erreichen noch bei weitem nicht die Leistungsfähigkeit der Sinnesorgane. Hinzu kommt, dass insbesondere invasive Schnittstellen, bei denen Elektroden in das Gehirn eingeführt werden (daran arbeitet z.B. die Firma Neuralink von Elon Musk) wegen der medizinischen Risiken eher auf medizinische Spezialfälle begrenzt bleiben dürften. VR oder AR galt einige Zeit als neue „Killerapplikation“, hat die damit verbundenen Erwartungen aber nie erfüllt. Neue Hoffnungen in diese Richtung gibt es mit der Verkündigung von Facebook, den Konzern in Richtung Metaversum zu entwickeln. Seit dieser Ankündigung bemühen sich zahlreiche Entwickler, Applikationen für das Lernen im virtuellen Raum (smart Learning), für die Kommunikation über Avatare oder für die Verlagerung von Kaufhandlungen in den virtuellen Raum zu entwickeln. So interessant manche Lösungen auch sein mögen, scheint doch u.a. die bisher notwendige Anwendung von VR-Brillen die Verbreitung der Technologie hauptsächlich auf den Gaming-Bereich zu beschränken. Zwar können inzwischen auch neueste Fernsehgeräte 3-D-Bilder erzeugen. Die Interaktion im 3-D-Raum, was die VR-Technik so faszinierend macht, ermöglichen sie aber nicht. Die Einschränkung gilt allerdings nicht für die kommerzielle Anwendung in Unternehmen. Schon vor Jahren kamen Studien zu dem Ergebnis, dass VR-Systeme u.a. auch in Form sogenannter Mixed Reality Anwendung z.B. in Montageprozessen, bei der Visualisierung von Arbeitsprozessen oder Produktionsabläufen sowie bei der Produktion und Steuerung oder für Schulungszwecke Anwendung finden.

Beispiel: Digitale intelligente Assistenten

Eine weitere digitale Applikation mit enormem Entwicklungspotenzial sind digitale intelligente persönliche Assistenten (Avatare), die spezifisches Wissen bereitstellen und dieses Wissen individualisieren, bevor es die Menschen erreicht (vergl. Abicht 2021). Diese Systeme werden in letzter Konsequenz in der Lage sein, unscharfe Fragestellungen, die sie über die unterschiedlichsten Schnittstellen erreichen, zu präzisieren und das Wissen in den Antworten gezielt so aufzubereiten, dass es anschlussfähig wird zu unserem aktuellen Wissen. Ihre gemeinsame Grundlage sind Systeme der künstlichen Intelligenz, die in der Lage sein werden (bzw. es heute schon sind), Wissen aus der digitalen Welt mit Wissen über unsere Person zu verbinden, wenn wir das wollen und zulassen. Der Zugang zu Ihnen erfolgt (heute) über digitale Endgeräte wie unser Smartphone oder intelligente Lautsprecher wie Alexa, längerfristig vielleicht auch über Computer-Brain-Schnittstellen.

Aber nicht nur wir selbst werden über solche Assistenten verfügen. Sie werden uns auch zunehmend an allen Schnittstellen zwischen Menschen und Maschinen begegnen und im Einzelfall ist es schon heute kaum noch möglich herauszufinden, ob wir es mit einem Menschen oder einem Computer zu tun haben, mit dem wir kommunizieren. Der digitale Assistent (Avatar) ist nicht nur eine stupide Erweiterung unseres Gedächtnisses, sondern er lernt mit uns gemeinsam, kennt damit unsere Wissensbasis und stellt Wissen situativ und entsprechend unserem emotionalen Zustand sowie prädiktiv bzw. vorausschauend zur Verfügung. Das gilt in Lernsituationen ebenso wie bei der Anwendung des Wissens in der Arbeit oder sonstigen Kontexten. Das führt letztlich zum Homo digitalis, auch ohne die Anwendung invasiver Verfahren.

Literatur

Janszky, S.-G./Abicht, L. (2018): 2030, Wie viel Mensch verträgt die Zukunft? 2b AHEAD Publishing. 1. Auflage. Leipzig.

Abicht, L. (2021). Zukunft der Weiterbildung. Wie lernen wir 2035. In: managerSeminare, Heft 282, S. 82 – 88.

Abicht, L. (2023): Arbeitswelt 2035. Das Ende der Wissensgesellschaft. In: managerSeminare 08/23, S. 46 – 53.

Abicht, L. /Stöttner, C. (2024): Klimaneutral! So gelingt der Umbau von Wirtschaft und Technologie. Campus-Verlag. Frankfurt.

 

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 02/2024 MÄR/APR

Hier finden Sie weitere Beiträge zum Thema "Technologien der Zukunft"