Beitrag von Dr. Markus Fischer Bereichsvorstand Luftfahrt Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Die Luftfahrt ist ein fester Bestandteil unseres gesellschaftlichen Lebens, unserer globalen Mobilität. Sie trägt zum Austausch der Kulturen bei, fördert unseren Wohlstand. Doch erleben wir gegenwärtig einen der intensivsten Transformationsprozesse der Luftfahrtgeschichte. An dessen Ende soll und wird ein klimaverträglicher Luftverkehr stehen. Denn die Folgen des Klimawandels fordern unser konsequentes Handeln.
Der Anteil der Luftfahrt an der Erwärmung der Atmosphäre wird zwar nur mit zwei bis fünf Prozent beziffert, das exponentielle Wachstum des weltweiten Luftverkehrs macht jedoch ein umgehendes Handeln erforderlich: Die Luftfahrtbranche verzeichnet eine Verdoppelung des Luftverkehrsaufkommens alle 15 Jahre. Dem steht gegenwärtig mit jeder Flugzeuggeneration in einem vergleichbaren Zeitraum nur eine Effizienzsteigerung um etwa 15 Prozent gegenüber. Die von der Luftfahrt verursachten Emissionen haben in vieler Hinsicht eine unerwünschte Wirkung und müssen zwingend reduziert werden. Dafür reicht allein die evolutionäre Weiterentwicklung von heutigen Flugzeugen nicht mehr aus. Zusätzlich müssen revolutionäre Technologien der Herausforderung der Umweltbelastung durch die Luftfahrt begegnen. Neben dieser signifikanten Steigerung der Ökoeffizienz des einzelnen Luftfahrzeugs müssen gleichzeitig die komplexe globale, nachhaltige Lieferkette, vorangehende Produktionsprozesse und Materialien sowie Aspekte der Infrastruktur betrachtet werden.
Revolutionäre und unmittelbar verfügbare Lösungen für eine emissionsfreie Luftfahrt gibt es aufgrund der immensen technologischen Herausforderungen insbesondere zur Energie- und Leistungsdichte alternativer Antriebe derzeit nicht. Aufgrund der hohen technischen und finanziellen Risiken und der unter allen Betriebsbedingungen zu gewährleistender Sicherheit ist ein Technologiewandel in der Luftfahrt zudem ein langwieriger und kostenintensiver Prozess, insbesondere durch umfangreiche Zulassungsverfahren. Um unsere Ziele zu erreichen, muss es in den nächsten zwanzig Jahren gelingen, das Wachstum im Luftverkehr von der Umweltbelastung zu entkoppeln. Unsere Prognosen zeigen, dass der Luftverkehr bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden kann. Aus diesem Anlass veröffentlichte das DLR Ende 2021 eine Luftfahrtstrategie, die den Weg zum emissionsfreien Fliegen zeichnet.
Gegenwärtig stehen wir vor zwei großen Herausforderungen. Zum einen müssen wir die aktuellen Flugzeuge weiter verbessern, deren Effizienz steigern und Klimawirkung reduzieren. Zum anderen gilt es, den Weg für eine neue Flugzeuggeneration zu ebnen. Das erfolgt unter anderem durch neue Flugzeugkonzepte, neue Antriebe und Leichtbauprinzipien sowie Systemarchitekturen in Kombination mit nachhaltigen Kraftstoffen.
Neben evolutionären und revolutionären Flugzeug- und Antriebskonzepten spielen besonders nachhaltige Luftfahrt-Brennstoffe sowie die Flugführung eine zentrale Rolle. Die erfolgreiche Einführung solcher Konzepte erfordert eine transdisziplinäre Forschung unter Berücksichtigung von Technologie-, Betriebs- und Wirtschaftsfaktoren.
Der breite Einsatz von regenerativ erzeugtem Kerosin für alle Flugzeugklassen kann die klimarelevanten Emissionen bereits kurzfristig um 80 Prozent senken. Zudem ist die Entwicklung energieeffizienter Technologien für Antrieb, Flugzeug und Lufttransportsystem nötig, die auf allen Strecken bis 2050 zusätzlich mehr als die Hälfte der verbleibenden Emissionen einsparen können. Für eine weitere Senkung der Emissionen sind alternative Antriebsarten voranzubringen, insbesondere Wasserstoffverbrennung für die Kurz- bis Mittelstrecke und brennstoffzellen-elektrische Antriebe auf der Regionalstrecke. Flugzeug und Luftverkehr stehen dabei als Gesamtsystem im Mittelpunkt der Luftfahrtforschung. Das DLR betrachtet alle Technologien ergebnisoffen und bewertet und integriert sie im Gesamtsystem. In diesem Zusammenhang forscht das DLR am virtuellen Produkt – der Digitalisierung entlang des Flugzeuglebenszyklus, das heißt vom Entwurf über die Fertigung, die Zulassung und den Betrieb bis hin zur Ausmusterung. So können ökonomische und ökologische Auswirkungen frühzeitig und umfassend prognostiziert und bewertet werden.
Auf unsere Vision einer emissionsfreien Luftfahrt arbeiten wir gemeinsam mit unseren internationalen Partnern aus Forschung, Industrie und Wirtschaft hin.
Im Detail sind folgende drei Entwicklungsfelder von entscheidender Bedeutung:
Der Energiebedarf kommender Flugzeuge muss bis zum Jahr 2050 mindestens um die Hälfte reduziert werden. Ein geringerer Energiebedarf des Flugzeugs wirkt sich direkt in einem geringeren Verbrauch der Antriebssysteme aus, reduziert Restemissionen und kompensiert die höheren Kosten künftiger Energieträger. Dafür notwendig sind Technologien zur Reduktion des aerodynamischen Widerstands und des Gesamtgewichts gemeinsam mit innovativer Flugregelung und Sensorik. Um diese Technologien optimal integrieren zu können, müssen sie in der Auslegung neuer Flugzeugkonfigurationen bereits ganz zu Beginn in der Entwurfsphase berücksichtigt werden.
Beispielsweise sind Flügel mit signifikant höherer Streckung erforderlich, um den bei der Auftriebserzeugung entstehenden induzierten Widerstand deutlich zu senken. Weiterhin ist die Laminarhaltung zur Reduktion des Reibungswiderstands auf den Flügel anzuwenden und zwingend auf den Rumpf zu erweitern; mit weitreichenden Auswirkungen auf Tragstrukturen und Systeme. Zudem sind bekannte Leichtbaupotenziale konsequent zu nutzen und zu optimieren, Lastreduktionsmethoden mit neuartigen Sensor- und Regelungskonzepten zu verbinden und die sensorische Strukturüberwachung zu implementieren. Schließlich sind neue Leichtbauweisen zu entwickeln und zu erproben, die eine maximale Beteiligung von Sekundärstrukturen und Systemelementen an der Lastabtragung ermöglichen.
Auf den Kurz- bis Langstrecken ermöglichen hoch effiziente Turbofan-Triebwerke gemeinsam mit regenerativ erzeugtem Kerosin einen weitgehend klimaneutralen Betrieb. Möglich ist das für die gesamte bestehende Flotte mit nur minimalen technischen Modifikationen der Triebwerke und der vorhandenen Infrastruktur.
Wasserstoff kann die lokalen CO2 -Emissionen im Luftverkehr auf null reduzieren. Für alle Wasserstoff-Antriebe stellen die Sicherheit, das Volumen sowie Gewicht und Integration eine besondere Herausforderung dar. Das erfordert eine intensive Erforschung von H2-Tanksystemen inklusive der Systemarchitektur sowie neuartiger Flugzeugkonzepte, die vorwiegend mit dem Volumeneinfluss umgehen müssen. Mittelfristig ist der Einsatz von Wasserstoff besonders für Flugzeuge im Regional- und Kurz-Streckenbereich geeignet. Die Erforschung einer sicheren und zuverlässigen Wasserstoff- Verbrennung und des Umgangs mit dem Energieträger soll in den nächsten fünf Jahren die kommerzielle Anwendbarkeit in Flugzeugen bis hin zur Demonstration vorbereiten.
Trotz ihrer sehr hohen Wirkungsgrade sind sowohl Batterien als auch Brennstoffzellen auf absehbare Zeit nur für Kleinflugzeuge und Regionalflugzeuge geeignet. Notwendig ist die Erforschung von Hochleistungs-Elektromotoren, Batterien und Brennstoffzellen. Dann kann in den nächsten fünf Jahren über eine mittelfristige Anwendung in Verkehrsflugzeugen entschieden werden.
Die Bewertung des Lufttransportsystems umfasst alle Aspekte des Betriebes und seiner Auswirkungen. Mit den Ergebnissen soll die Wirkung eingeschätzt und eine Neugestaltung ermöglicht werden. Dafür ist in den kommenden fünf Jahren der Aufbau einer umfassenden und detaillierten Bewertungs- und SimulationsPlattform für das gesamte Lufttransportsystem notwendig.
Großes Potential, die Klimawirkung des Flugverkehrs zu senken, bietet die Reduktion der Nicht-CO2 -Effekte – insbesondere durch geeignete Flugrouten auf der Langund Mittelstrecke. Um in den nächsten fünf Jahren die kommerzielle Umsetzbarkeit und Wirksamkeit von klimaoptimierten Flugrouten nachzuweisen, bedarf es politischer Rahmenbedingungen und der Einführung technischer Neuerungen. Dazu gehören zunehmende Automatisierung und Standardisierung im Flugzeug, im Luftverkehrsmanagement und in der Flugführung.
Die Digitalisierung als Katalysator beschleunigt den Weg zur klimaneutralen Luftfahrt. Sowohl digitale Werkzeuge und Methoden als auch Entscheidungsprozesse, die durch Einsatz künstlicher Intelligenz unterstützt werden, tragen dazu bei, neue Konzepte und Technologien für den nachhaltigen Lufttransport in größeren und kreativeren Entwurfsräumen zu erforschen. Zugleich fördert die bessere Übereinstimmung von virtuellem und realem Produkt die beschleunigte Übertragbarkeit von Forschungsergebnissen in die Anwendung.
Hier zeigt sich, auf dem Weg zum klimaneutralen Fliegen liegt ein erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf für vielfältige maßgeschneiderte Technologien. Dafür braucht es eine kontinuierliche Förderung und Unterstützung. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Transfer der Erkenntnisse in die Industrie und in die Wirtschaft zu. Dank der Kompetenzen und der Fähigkeiten von mehr als 25 für die Luftfahrt forschenden DLR-Instituten und -Einrichtungen sowie einer einzigartigen Forschungsinfrastruktur verfügt das DLR über ein breites Verständnis der Luftfahrt und aller Möglichkeiten, diese für das 21. Jahrhundert fit zu machen. Damit sehen wir uns als Architekt und Integrator in der Luftfahrtforschung und engagieren uns mit Zuversicht für einen nachhaltigen klimaverträglichen Luftverkehr der Zukunft, der die Menschen weiter weltweit verbindet.
Die Luftfahrt wird sich in den kommenden Jahrzehnten als klimaneutraler Motor der Wirtschaft und des interkulturellen Austauschs neu erfinden. In Europa ist dieses Ziel nachdrücklich durch den European Green Deal gesetzt. Das Wachstum des Luftverkehrs darf zukünftig nicht mehr zu steigenden Emissionen führen. Es muss vom Wachstum des Luftverkehrs und den damit steigenden CO2 -Emissionen entkoppelt werden.
Die technischen Potentiale zeigen: Der Weg hin zu einer klimaneutralen Luftfahrt ist bis zur Mitte des Jahrhunderts möglich. Diese Transformation muss vielfältig und technologieoffen gestaltet werden. Evolutionäre Schritte sind ebenso nötig wie der konsequente Einsatz verfügbarer revolutionärer Technologien. Nur durch die Verknüpfung der vier wesentlichen Themengebiete emissionsarmer Luftfahrtantrieb, energieeffizientes Flugzeug, emissionsreduziertes Lufttransportsystem und Digitalisierung lässt sich das Ziel der klimaneutralen Luftfahrt bis 2050 erreichen.
Insbesondere die konsequente Digitalisierung soll es bis 2050 ermöglichen, neue Lösungsansätze kosteneffizienter und doppelt so schnell zu finden wie heute und so die Transformation zur Klimaneutralität ausreichend zu beschleunigen.
Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 04/2022 JUL/AUG