Beitrag von Dr. Eckhard Lanzinger Deutscher Wetterdienst
Die Luftfahrt ist wahrscheinlich der Verkehrssektor mit der größten Wetterabhängigkeit. Als Passagier ist einem vielleicht ein „ungemütlicher“ Flug in Erinnerung, mit Turbulenzen, „Luftlöchern“, Gewittern und vielleicht auch daraus resultierenden Verspätungen. Doch neben dem Flugkomfort spielt das Wettergeschehen vor allem für die Sicherheit im Luftverkehr eine wichtige Rolle. Die Kenntnis über die Wetterbedingungen an einem Flugplatz trägt wesentlich dazu bei, Starts und Landungen sicher durchführen zu können. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) versorgt alle Luftfahrtakteure in Deutschland mit standardisierten Wettermeldungen und Wettervorhersagen. Ab 2022 wird der DWD seine Flugwetterbeobachtung an den internationalen Verkehrsflughäfen in Deutschland automatisieren. Die technische Umsetzung dieses Vorhabens ist anspruchsvoll.
Flugwetterbeobachtungen werden nach internationalen Vorschriften [1] [2] an einem Flugplatz und dessen unmittelbarer Umgebung durchgeführt und informieren Luftfahrzeugführer, Flugsicherung und andere Nutzer über den aktuellen Wetterzustand. Für die Flugplanung wird halbstündlich das METAR (Meteorological Aerodrome Routine Report) als Flugwettermeldung herausgegeben und international verbreitet. Ein Pilot informiert sich anhand dieser Meldung vor und während seines Fluges über die Wetterbedingungen am Zielort. Das METAR enthält die Messgrößen Windgeschwindigkeit und -richtung, vorherrschende und minimale Sichtweite, Pistensichtweite, gegenwärtiges Wetter, signifikante Bewölkung, Lufttemperatur, Taupunkt, Luftdruck und vergangenes, signifikantes Wetter. Der TREND, die Landewettervorhersage mit zwei Stunden Gültigkeit, bildet den Abschluss der METAR-Meldung.
Im Endanflug werden die Luftfahrzeugführer mit detaillierteren, aktuellen Wetterinformationen im Bereich der Landebahnen informiert. Hierfür stellt der DWD halbstündlich den MET REPORT zur Verfügung und bei signifikanten Wetteränderungen eine Sonderwettermeldung, den SPECIAL. Diese Flugwettermeldungen sowie „Live-Daten“ über Wind und Sichtweite werden der Flugsicherung übermittelt, welche diese Informationen an die Flugzeuge im Endanflug und vor Starts weitergibt.
In Deutschland wurden Flugwetterbeobachtungen bisher in einem semi-automatischen Verfahren durchgeführt. Windmesswerte, Pistensichtweite, Lufttemperatur, Taupunkt und Luftdruck wurden mit Messgeräten und Sensoren lokal am Flugplatz automatisch erfasst, vorverarbeitet und in die Meldungen integriert. Angaben zur Sichtweite, gegenwärtigem Wetter und Bewölkung hingegen wurden durch Augenbeobachtungen ermittelt und den Meldungen hinzugefügt. Ausgebildetes Beobachtungspersonal des DWD führte bis zum Jahr 2022 an den 15 internationalen Verkehrsflughäfen in Deutschland rund um die Uhr Wetterbeobachtungen durch, denn selbst Flughäfen mit Nachtflugverbot sind für Notlandungen oder medizinische Versorgungsflüge durchgängig geöffnet.
Im Jahr 2014 wurde das Projekt AutoMETAR im DWD begonnen, welches die vollständige Automation der Flugwetterbeobachtung und -meldung an den internationalen Verkehrsflughäfen in Deutschland bis 2022 zum Ziel hat. Hierfür wurde das Aerodrome Weather System – kurz ADWX_System – entwickelt, um zukünftig auch die „schwierigen“ Wetterinformationen, die bisher nur von Wetterbeobachtungspersonal zuverlässig ermittelt werden konnten, mit leistungsfähigen Messmethoden und Verfahren in hoher Qualität automatisch zu bestimmen.
Die Meldungsinhalte zum gegenwärtigen Wetter stellen im Prinzip die Wettererscheinungen dar, die ein Mensch mit seinen Sinnen erfassen kann. Gemeldet werden die Niederschlagsart und die Niederschlagsintensität in den drei Stufen leicht, mäßig und stark. Daneben werden auch Trübungserscheinungen wie Dunst und Nebel gemeldet. Von größter Wichtigkeit für den Luftverkehr sind konvektive Wettererscheinungen wie Gewitter und Schauer. Die Herausforderung für die Automation dieser Wetterbeobachtungen besteht darin, auf einer messtechnischen Grundlage ein neues Verfahren aufzubauen, das eine zuverlässige Klassifikation der Wettererscheinungen von vergleichbarer oder besserer Qualität als durch Augenbeobachtungen ermöglicht.
Im ADWX_System wird hierfür ein MultiSensor-Ansatz gewählt, indem Messwerte von lokal an den Flugplätzen installierten Sensoren mit Fernerkundungsdaten und Modelldaten in einer Fuzzy-Logik verknüpft werden. Zu jeder Messgröße werden für alle theoretisch möglichen Wetterzustände Zugehörigkeitsfunktionen definiert, die im Prinzip ausdrücken, wie stark die Messgröße mit dem Auftreten einer Wettererscheinung korreliert. Aus den Funktionswerten aller Messgrößen, auch Zugehörigkeitsgrade genannt, leitet die Fuzzy-Logik die zutreffendste Wetter-Klassifikation ab. Recht ähnlich geht ein menschlicher Wetterbeobachter vor, der seine Sinneseindrücke abgleicht und sich für die zutreffendste Klassifikation zur Beschreibung des gegenwärtigen Wetters entscheidet.
Die bisherige Sensorausstattung an den Flughäfen musste um spezielle Niederschlagssensorik ergänzt werden. LaserDisdrometer bestimmen für jedes Niederschlagspartikel, das ihr Laser-Lichtband kreuzt, dessen Größe und vertikale Fallgeschwindigkeit [3] [4]. Aus diesen beiden Angaben ermittelt das Messgerät durch eine Cluster-Analyse die Niederschlagsart. Flüssige Niederschläge sinken mit einer charakteristischen Fallgeschwindigkeit zu Boden, die durch die Gunn-KinzerKurve beschrieben wird [5]:
v(D) = 9.65 – 10.3 exp(-0.6 D)
mit dem Tropfendurchmesser D in mm und der Fallgeschwindigkeit v(D) in m/s. Schneeflocken gleicher Größe fallen hingegen deutlich langsamer als Wassertropfen und Hagel deutlich schneller. Diese Disdrometer ermitteln auch die Niederschlagsintensität als Wasseräquivalent in mm/h. Da der DWD in Feldexperimenten bei den eingesetzten Geräten eine hohe Fehlalarmrate für Hagel feststellte, entwickelte er in Zusammenarbeit mit einem Gerätehersteller einen Hageldetektor, der ausschließlich auf kornartige Niederschläge anspricht, die „Hagelharfe“. Ähnlich wie die Saiten des besagten Musikinstruments sind hier als „Prallfläche“ für die Hagelkörner parallele Drähte aufgespannt. Nur kornartige Niederschlagspartikel mit einer harten Oberfläche und Durchmessern ab 4 mm können beim Aufprall ein elektrisches Signal erzeugen, wohingegen alle anderen Niederschlagsformen nicht genügend Impuls auf die Drähte übertragen können.
Die Kombination aus Laser-Disdrometer und Hagelharfe liefert somit ein sicheres Ergebnis bei der Niederschlagsklassifikation von flüssigen und festen Niederschlägen. Ergänzt werden diese Messungen durch empfindliche optische Niederschlagwächter, die mittels einer Lichtschranke die Anzahl der Niederschlagspartikel ermitteln, die pro Zeiteinheit durch deren Messfläche fallen.
Neben den lokal erhobenen Messwerten gehen noch Daten aus einem deutschlandweiten Blitzmessnetz ein, worin für jeden Blitz die Position der höchsten Feldstärke mitgeteilt wird. Darüber hinaus wird aus Messdaten der polarimetrischen Wetterradare, die der DWD in seinem Radarverbund [6] für ganz Deutschland betreibt, ebenfalls die Niederschlagsart abgeleitet und als Ergänzung zu lokalen Niederschlagsmessungen der FuzzyLogik zugeführt. Ihre besondere Bedeutung haben Wetterradare jedoch für die Detektion konvektiver Zellen, in denen Niederschlagspartikel durch starke vertikale Luftbewegungen in große Höhen mitgerissen werden, an Größe gewinnen und den Aggregatzustand wechseln. In der stärksten Ausprägung führen diese konvektiven Zellen zu heftigen Gewittern mit Hagel- und Regenschauern.
Ein weiteres Merkmal konvektiver Zellen ist ihre hochreichende Bewölkung, die in den Flugwettermeldungen als Towering Cumulus (TCU) und Cumulonimbus (CB) zu melden ist. Auch diese Information wird aus den polarimetrischen Radardaten abgeleitet. Die Qualität aktuell verfügbarer Satellitendaten (MSG) konnte hierfür noch nicht nutzbringend eingesetzt werden, aber das dürfte sich mit Einführung der neuen Satellitengeneration (MTG) ändern [7].
Ergänzt werden die Bewölkungsangaben noch durch LIDAR-Messungen mit Ceilometern, welche wie ein Laser-Entfernungsmesser die Höhen der Wolkenuntergrenzen ermitteln. Pro Landebahn werden bis zu vier Ceilometer im Bereich der Landebahnenden postiert. In einem Wolkenalgorithmus werden für das METAR alle Messwerte der letzten 30 Minuten ausgewertet und in einem ClusterVerfahren getrennten Wolkenschichten zugeordnet. Aus dem Anteil der Wolkendetektionen in den zurückliegenden 30 Minuten wird für jede Wolkenschicht der Wolkenbedeckungsgrad bestimmt. Diese Angabe ist insbesondere für tiefe Bewölkung mit einem Bedeckungsgrad von mehr als 50 % wichtig, da die Piloten ggf. erst nach Unterschreiten der untersten Wolkenschicht freie Sicht auf die Landebahn haben. Für den MET REPORT und SPECIAL arbeitet der Algorithmus übrigens mit einem 6-minütigen Zeitfenster und kann somit schneller auf kurzfristige Änderungen reagieren.
Allergrößter Wert wurde bei der Systementwicklung auf eine hohe Datenverfügbarkeit gelegt. Um gegen technische Störungen aller Art gewappnet zu sein, wurden sämtliche technischen Komponenten des ADWX_Systems mindestens einfach redundant ausgelegt. Dies gilt für IT-Komponenten und Netzwerkverbindungen aber auch für alle Sensoren. Der Einsatz der Fuzzy-Logik erleichtert die Verknüpfung von äquivalenten oder sich ergänzenden Informationen, die mit verschiedenen Messgeräten gewonnen wurden. Letztlich wird durch diesen Ansatz auch die Robustheit der Ergebnisse verbessert, da bei Ausfall eines Messgerätes automatisch die äquivalenten Messungen der anderen Messgeräte verwendet werden.
Die Dopplung der Messgeräte wird auch zur Qualitätssicherung eingesetzt, indem Abweichungen zwischen benachbarten Geräten in Echtzeit überwacht werden. So können etwa gestörte Sichtweitenmesswerte automatisch identifiziert und aus weiteren Berechnungen entfernt werden, um die Ausgabewerte nicht zu verfälschen.
Die Einführung des ADWX_Systems zur automatischen Flugwetterbeobachtung stellt für den DWD einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Automatisierung seiner Prozesse dar. Das System ist so modular aufgebaut, dass es sich sehr gut erweitern lässt. Die Ergänzung der Sensorik um einen Freezing-Rain-Sensor ist bereits geplant, um die Fuzzy-Logik durch weitere Messgrößen noch robuster und treffsicherer zu gestalten. Größere Verbesserungen im Bereich der Konvektionserkennung sind durch die Weiterentwicklung der Auswertemethoden für Radardaten zu erwarten. Außerdem ermöglichen geplante Verbesserungen der Radar- und Satellitenmesssysteme weitere Leistungssteigerungen des ADWX_ Systems.
Quellen:
Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 04/2022 JUL/AUG