Interview mit Dr. Jochen Kaiser
Das Bauhaus Luftfahrt e.V. beschäftigt sich mit Technologien und Trends, die in die Zukunft weisen. Dazu sprach die Technik in Bayern mit Dr. Jochen Kaiser, dem Leiter der Abteilung „Visionäre Flugzeugkonzepte“.
Technik in Bayern: Herr Dr. Kaiser, Sie sind Leiter der Abteilung „Visionäre Flugzeugkonzepte“. Was können wir uns darunter vorstellen?
Jochen Kaiser: Wir beschäftigen uns hier hauptsächlich mit Flugzeugkonzepten und -ideen, die in 30, 40 oder 50 Jahren zum Einsatz kommen sollen. Unsere Hauptaufgabe ist, diese Visionen für die Industrie vor zu bewerten, bevor sie in die eigentliche Entwicklung gehen.
TiB: Das ist das Konzept eines Thinktanks.
Kaiser: Ja, dahin entwickeln wir uns immer mehr, das taucht jetzt auch in der Namensgebung auf. Ursprünglich ist das Bauhaus Luftfahrt eine bayerische Gründung, aber speziell durch unsere Industriepartner wächst es immer mehr auf nationaler Ebene. Wir wachsen aber nicht als Institut – wir sind ca. 50 Mitarbeiter – und bleiben weiterhin auf der rein konzeptionellen Ebene, um uns auch schnell auf neue Themen einlassen zu können. Wenn wir beispielsweise Laboreinrichtungen u.ä. hätten, müssten wir diese auch auslasten. So können wir bei neuen Ideen schnell Fuß fassen und können sehr früh abschätzen, ob es hier Potenzial gibt, bevor in den Firmen verstärkt Geld investiert wird. Und dadurch, dass wir unabhängig sind, kommen wir auch einfacher mit den Industriepartnern ins Gespräch. Für mich immer noch faszinierend ist dieses kleine, sehr flexible Team und das themenübergreifende Arbeiten mit dem ganzheitlichen Anspruch, dem Bauhauscharakter, zusammen mit vielen Disziplinen. Dieses „anders Denken“ tut einem sehr gut.
TiB: Wer finanziert das Bauhaus?
Kaiser: Wir bekommen die Grundfinanzierung vom Land Bayern und den Mitgliedsbeiträgen unserer Industriepartner. Dann haben wir direkte Kooperationen mit Industriepartnern und wir beteiligen uns natürlich an den öffentlichen Ausschreibungen und Forschungsprogrammen. Mit diesen drei Säulen können wir auch unseren zweiten Auftrag, die Ausbildung von jungen Wissenschaftlern, finanzieren. Unser Vorstand Prof. Hornung hat einen Lehrstuhl an der TUM und viele Studierende promovieren hier.
TiB: Bestrebungen den Klimawandel aufzuhalten sind Tagesgespräch. Was sind die Gründe für die Notwendigkeit alternativer Flugantriebe, da der weltweite CO2-Eintrag durch den Flugverkehr lediglich 3 bis 4 % ausmacht?
Kaiser: Auch 3 – 4 % CO2 -Eintrag sind ein signifikanter Beitrag und dazu kommen noch andere Effekte, wie die Kondensstreifen. Insgesamt geht es um ca. 5 % klimawirksame Einträge durch die Luftfahrt. Und die Luftfahrt ist trotz Finanzkrise und Corona ein konstanter Wachstumsmarkt. Andere Bereiche wie Automobil- oder Transportbereich können ihren CO2 -Eintrag auch durch technische Lösungen reduzieren, wenn sie wollen. Also wenn ich nichts mache und konstant wachse, steigt auch mein Eintrag konstant. Der Luftverkehr ist als Personen-Transportmittel über weite Strecken alternativlos. Wenn wir z. B. der Flugscham begegnen wollen, müssen wir diesen klimaschädlichen Eintrag reduzieren. Und dazu gibt es schon Selbstverpflichtungen wie das IATA-Papier. Hier sollen zunächst 50 % des Wertes von 2005 bis 2050 reduziert werden, bis 2060 soll der Flugverkehr dann klimaneutral werden. Sozialkritisch gesehen ist es auch ein sehr kleiner Anteil der Weltbevölkerung, der diesen Luftverkehrsanteil erzeugt. Die Luftfahrt hat auch immer eine Signalwirkung, eine Vorbildfunktion. Wenn man wirklich etwas für den Klimaschutz machen möchte, ist es leichter, wenn solche Bereiche vorne weg laufen und Technologien entwickeln, die auch in anderen Bereichen Anwendungen finden. Es hat Vorteile, wenn eine Technik luftfahrtzertifiziert ist, denn die Sicherheitsanforderungen sind extrem hoch – auch ein Grund dafür, dass man sich mit den Jahren 2050 und 2060 heute schon beschäftigen muss. Und Flugzeuge fliegen sehr lange, d.h. ein Flugzeug, dass ich heute herstelle, das wird auch in 30 Jahren noch fliegen. Wir müssen sehr langfristig denken und bis neue Technologien, z. B. ein komplett neuer Energieträger, zugelassen sind, dauert es extrem lange. Die nächste Flugzeuggeneration an der gerade gearbeitet wird, kommt 2035 auf den Markt.
TiB: Was ist das Besondere an der Luftfahrtindustrie?
Kaiser: Es gab in der Luftfahrtindustrie schon immer einen hohen Druck Kosten zu senken. Und der größte Kostenfaktor in der Luftfahrt ist die Energiequelle. Diese laufenden Kosten sind im Vergleich zur Herstellung eines Flugzeuges sehr hoch, weswegen es sich immer gelohnt hat, die Flugzeuge effizienter zu machen.
Wenn Sie Flugzeuge von vor 20 Jahren mit heute vergleichen, z. B. den A 340 mit dem A 350, dann sehen Sie auf der Langstrecke eine Reduktion von 25 % an Kerosinverbrauch. Das ist viel und es lohnt sich für die Airlines. Die Motivation waren Kostengründe und jetzt kommt der Umweltfaktor dazu. Damit lohnt sich Effizienz noch mehr.
TiB: Welche Optimierungsmöglichkeiten gibt es bei konventionellen Gasturbinen?
Kaiser: Die meisten Einsparungen wurden in den letzten Jahrzehnten über die Antriebe erzeugt. Bei den Möglichkeiten Gasturbinen noch effizienter zu machen, gibt es Probleme bei der Integration, denn wenn man versucht die Gasturbine klein zu halten, dann wird der äußere Fan immer größer. Leider wächst das Flugzeug nicht mit.
TiB: Warum genügt dann nicht die Umstellung auf synthetische Treibstoffe?
Kaiser: Diese synthetischen Treibstoffe – SAF (Sustainable Aviation Fuels) – bei denen ich am Ende eine CO2 -neutrale Verwendung habe, wären bei der langen Laufzeit von Flugzeugen ein erster entscheidender und schneller Schritt, mit dem ich die CO2 -Reduktionspotenziale heben kann. Natürlich müssen diese Treibstoffe auch in ausreichenden Kapazitäten hergestellt werden, was momentan noch nicht möglich ist. Die meisten Flugzeuge könnten heute schon problemlos mit höheren synthetischen Kraftstoffanteilen fliegen. Im Moment liegt die Zulassungsgrenze hier bei 50 %, aber es gibt schon Flugversuche bei Airbus und Boeing mit 100 % SAF. Es entstehen natürlich auch höhere Kosten, weil Kerosin unvergleichlich billig ist. Am Ende muss man diese Art von Treibstoffherstellung politisch einfordern.
TiB: Haben Elektroantrieb und Wasserstoff die Chance, wirtschaftlicher zu werden als konventionelle Antriebe auf Kerosinbasis?
Kaiser: Wir wissen ja, dass Elektroantriebe einen sehr hohen Wirkungsgrad haben. Für kleinere Flugzeuge mit beispielsweise 19 Sitzen gibt es Entwicklungen und man kann absehen, dass man damit Kurzstrecken fliegen kann. Aber die Batteriegrößen, die wir für Verkehrsflugzeuge (180 Sitze) bräuchten, sind noch in weiter Ferne. Diese Batterien bräuchten eine Energiedichte von 2000 Wh/kg, bei Autobatterien haben wir heute eine Energiedichte zwischen 200 und 300 Wh/kg.
Nachdem es heute nicht nur um Wirtschaftlichkeit, sondern auch um Klimawirksamkeit geht, könnten Brennstoffzelle und Wasserstoff punkten. Die Brennstoffzelle hat den großen Vorteil, dass ich außer Wasser keine Emissionen erzeuge. Hier gibt es schon Modelle im Regionalflugzeugbereich mit bis zu 80 Plätzen. Bei größeren Flugzeugen denken alle an flüssigen Wasserstoff, der dann in Gasturbinen verbrannt wird. Hier stellt sich die Transportfrage, denn Kerosin hat ein deutlich kleineres Volumen als Wasserstoff, auch wenn H2 die höherer Energiedichte hat. Und H2 muss kalt bleiben. Optimal ist ein isoliertes, kugelförmiges Gebilde, beim Flugzeug ist das der Rumpf, den ich vergrößern müsste. Technisch gibt es viele Lösungsansätze aus der Raumfahrt und der Autoindustrie, das Hauptproblem bei H2 ist heute die fehlende Infrastruktur.
TiB: Welche Entwicklungen sehen Sie beim (urbanen) Luftverkehr?
Kaiser: In der Luftfahrtindustrie geht der Trend hin zu kleineren Flugzeugen und zu mehr Direktverbindungen. Jeder Umsteigeflug ist ein zusätzlicher Flug, der sowohl aus Klimagesichtspunkten als auch aus Kostengründen nicht gut ist. In diese Modellierungen wird heute sehr viel Zeit investiert.
Der urbane Luftverkehr ist technologisch extrem interessant, weil hier auch von vielen Start-Ups rein elektrische Antriebe ins Spiel kommen und ganz neue Technologien entwickelt werden – sowohl batterietechnisch aber auch was die Flugführung betrifft. Fraglich ist für uns die Wirtschaftlichkeit und die Rolle im Flugmarkt, entscheidend werden hier die Zulassungszeiträume z. B. für Vertiports sein.
TiB: Kommen wir zurück auf Ihre Abteilung. Welche Visionen sind momentan in der Diskussion?
Kaiser: Hauptsächlich beschäftigen wir uns mit der viel stärkeren synergetischen Integration von Antrieb und Flugzeugkonzept. Hier sehen wir das meiste Potential. Radikale Konzepte, wie z. B. Flugzeuge mit nur einer Turbine, prüfen wir auf ihre Sinnhaftigkeit, bevor sie bei Herstellern verwirklicht werden. Wir ziehen uns als Team auch regelmäßig zurück, um frei über Ideen und Gedanken zu diskutieren. Diese Freiheit müssen wir uns nehmen. Wenn wir mit unseren Ideen an die Öffentlichkeit gehen, sollen sie einen Realitätsbezug haben.
Das Interview führten Fritz Münzel und Silvia Stettmayer
Bauhaus Luftfahrt e. V
Gegründet wurde der Bauhaus Luftfahrt e. V. im November 2005. Mitglieder sind die Luft- und Raumfahrtunternehmen Airbus, IABG, LiebherrAerospace und MTU Aero Engines sowie das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie.
Seit 2015 ist es auf dem Ludwig Bölkow Campus in Taufkirchen bei München angesiedelt. www.bauhaus-luftfahrt.net/de/
Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 04/2022 JUL/AUG