Beitrag von Prof. Dr.-Ing. Andreas Hupfer, Sebastian Hawner, M.Sc., Fabian Helmchen, M.Sc. Institut für Aeronautical Engineering, Universität der Bundeswehr München
Die Vision des „elektrischen Fliegens“ wird zumeist an die Potenziale geknüpft, klimaschädliche Emissionen zu reduzieren und die Abhängigkeit der Luftfahrt von fossilen Energieträgern zu verringern. Dies sind gleichzeitig auch die wesentlichen Herausforderungen der modernen Luftfahrt, vor allem im Hinblick des erwarteten weiteren Wachstums.
Nicht weniger interessant erscheinen konstruktive und operative Vorteile, die sich durch die Verwendung elektrischer Antriebe ergeben. Die vorherrschenden Flugzeugkonfigurationen haben sich aus der jahrzehntelangen Dominanz von Kolbenmotoren und Gasturbinen als Antriebsaggregate entwickelt. So sind im Flugzeugentwurf die Integrationsmöglichkeiten der Antriebe oft durch den heißen Abgasstrahl limitiert und erfordern kosten- und gewichtserhöhende Isolationsmaßnahmen. Elektrische Antriebe besitzen diese Einschränkung nicht und ermöglichen neue Konstellationen, bei denen die Antriebe sowohl aktiv in die Flugsteuerung als auch in die Erzeugung von Auftrieb mit integriert werden können. Dennoch geht das enorme Potenzial elektrischer Flugantriebe mit bislang ungelösten und neuen Herausforderungen einher. Neben den allgemein bekannten Problemen wie die Leistungsfähigkeit von Batterien ergeben sich weitere Fragestellungen, so z. B. zur Dimensionierung und Abstimmung der benötigten Subsysteme wie auch eine Anwendung für hohe Fluggeschwindigkeiten, die bisher Strahltriebwerke erfordert.
Basierend auf langjährigen Erfahrungen im Bereich kleiner Flugantriebe forscht die Universität der Bundeswehr (UniBw) in München an neuen Ideen und Lösungen zu diesen Fragestellungen. Um die Forschungsaktivitäten zu bündeln, wurde Anfang 2021 das Forschungsprojekt ELAPSED (Electric Aircraft Propulsion – safe, efficient, digitally linked) als Teil des wissenschaftlichen Zentrums dtec.bw der Universität der Bundeswehr München gestartet. Das Projekt ELAPSED ist ein ganzheitlicher, interdisziplinärer Ansatz zur Entwicklung und Bewertung von elektrischen Antriebsträngen für Flugzeuge. Es berücksichtigt die Energiebereitstellung (Batterie bzw. Brennstoffzelle) über die Antriebstechnik (Elektromotor und Leistungselektronik) bis zum Propulsor und den zugehörigen Teilaspekten Thermalund Wärmemanagement, elektromagnetische Verträglichkeit sowie die Interaktion mit der Flugregelung. Hierzu wird an der Entwicklung und Umsetzung eines 80 kW-Antriebstrang-Demonstrators für Kleinflugzeuge und an innovativen Propulsoren, welche auch hohe Fluggeschwindigkeiten und -höhen ermöglichen, gearbeitet.
Das Institut für Aeronautical Engineering an der UniBw widmet sich insbesondere der Forschung zu innovativen, elektrisch angetriebenen Propulsoren. Da auch elektrische Flugzeuge an ökonomischen und operativen Kriterien gemessen werden, spielt insbesondere das Erreichen hoher Fluggeschwindigkeiten eine wesentliche Rolle. Bislang wurde zumeist der Verbrennungsmotor durch einen Elektromotor ersetzt. Die Fluggeschwindigkeit mit einem konventionellen Propeller ist jedoch begrenzt. Für höhere Fluggeschwindigkeiten, welche aktuell nur mit Strahltriebwerken erreicht werden, entwickelt ein Forschungsteam unter Leitung von Prof. Andreas Hupfer elektrisch angetriebene Fantriebwerke. Diese erlauben durch die Ummantelung des Rotors in Verbindung mit einem abgestimmten System aus Einlassdiffusor und verstellbarer Düse einen Betrieb bei hohen Fluggeschwindigkeiten. Verglichen mit einem Propellerantrieb wird ein höherer massen- und flächenspezifischer Schub erreicht, wobei letzteres zu weniger Bauraum und einer verbesserten Integrierbarkeit in die Flugzeugzelle führt.
Um die Leistungsfähigkeit weiter zu steigern, wird außerdem an einem gegenläufigen Rotorsystem geforscht. Dieses Konzept wurde bereits an der UniBw erfolgreich umgesetzt [1]. Die gegenläufigen Rotorstufen weisen bei entsprechender Auslegung mehrere Vorteile auf. Der Drall nach dem ersten Rotor kann durch die Gegenläufigkeit des nachgeschalteten Rotors vollständig abgebaut werden. Es kann auf einen Stator, welcher im Nachlauf der aerodynamisch hoch belasteten Rotoren feststehend die Strömung umlenkt und Drall abbaut, verzichtet werden. Zusätzlich kann mehr Leistung als mit nur über einem Rotor übertragen werden. Beide Rotoren werden direkt von einem eigenen, innenliegenden Motor angetrieben, d. h. Motor und Fan sind integrale Bestandteile einer Rotorstufe und direkt miteinander verbunden. Damit steht im Betrieb ein weiterer Freiheitsgrad bei der Drehzahlabstimmung zur Verfügung. Zwei Motoren erhöhen zusätzlich die Sicherheit und reduzieren die Komplexität, denn im Gegensatz zu gegenläufigen Rotoren, welche von nur einer Maschine angetriebenen werden, wird kein Getriebe benötigt.
Die Entwicklung numerischer, CFD-basierter Tools für die aerodynamische Auslegung sind Voraussetzung für eine treffsichere Vorhersage des späteren Betriebsverhaltens. Beispielsweise werden Parameteruntersuchungen zum Einfluss der Rotorgeometrie auf Strömungsverhalten und damit auf den Gesamtschub und Wirkungsgrad durchgeführt. Darüber hinaus gibt es noch weitere Forschungsaspekte. Der Einsatz von CFK-Schaufeln, welche leicht und dennoch hochfest sind, erfordert neue konstruktive und fertigungstechnische Lösungen. Durch patentierte Gehäusesegmente mit auxetischen Strukturen, welche mit modernen 3DDruckverfahren hergestellt werden können, kann die Spaltweite zwischen Schaufelspitze und Gehäuse in der Montage und dynamisch im Betrieb eingestellt werden. Das vermeidet ein Anstreifen und ermöglicht dennoch minimale Spaltweiten zur Sicherstellung bestmöglicher Wirkungsgrade. Verstellbare Düsenflächen sind notwendig, um eine durchgehend hohe Schubeffizienz von Start bis Schnellflug zu ermöglichen. Aufgrund der kompakten Bauweise ist die Abfuhr der Motorabwärme eine besondere Herausforderung. Mit steigender Antriebsleistung muss es das Ziel sein, diese Wärme nicht nur abzuführen, sondern der Schuberzeugung nutzbringend an anderer Stelle zuzuführen. Auch hierzu gibt es bereits Ansätze, welche in Forschungsprojekt ELAPSED am Institut untersucht werden.
Neue Möglichkeiten bieten sich auch für einen effizienten und umweltverträglichen Commuter- und Regionalflugverkehr, welcher abseits der Verkehrsknoten mit dezentralen Flügen und bis zu 50-sitzigen Flugzeugen kurze Gesamtreisezeiten garantieren soll. Seit seinem Niedergang in den 1990er Jahren erhielt dieses Segment zuletzt wenig Aufmerksamkeit, sodass sich durch die neuen Möglichkeiten elektrischer Antriebstechnologien eine Neuausrichtung anbietet. Beeindruckendes Potenzial liegt hierbei in der Elektrifizierung dieses Luftverkehrssegments. Nicht nur die Vorteile erwarteter, geringerer operativer Kosten durch reduzierten Wartungsaufwand, sondern auch komplett neue Ansätze zur Integration der Antriebe in die Zelle bzw. Tragflächen sind möglich. Bisher fehlt es sowohl an weitreichenden Erfahrungen für den Einsatz elektrischer Antriebe und Systeme in Luftfahrzeugen dieser Größe und Leistungsanforderungen, als auch an einer Neubewertung der Anforderungen dieses Regionalflugmarktes.
Um diese wechselseitige Abhängigkeit zu beschreiben, arbeitet das Team von Prof. Andreas Hupfer in enger Kooperation mit Prof. Sophie Armanini, Inhaberin der Professur für eAviation an der TU München, an einer systematisierten Beschreibung von Anforderungen für die Auslegung kleiner Regionalflugzeuge. Hier stellt sich insbesondere die Frage, welche ReichweiQuelle: Sebastian Hawner, Niels Herter, Institut für Aeronautical Engineering, UniBw Aktuelle Forschungsschwerpunkte am Institut für Aeronautical Engineering der UniBW München ten und Leistungsanforderungen anzunehmen sind, da diese den Flugzeugentwurf und die operativen Eigenschaften auf allen Ebenen beeinflussen. Bei der Untersuchung und Bewertung von Antriebkonfigurationen und -integrationen wird ein Fokus auf das Zusammenspiel der Subsysteme gelegt.
Die Elektrifizierung der Antriebssysteme in der Luftfahrt stellt nicht nur technologisch eine große Herausforderung dar, sondern erfordert auch neue Auslegungsund Entwicklungsstrategien. Das Triebwerk kann nicht mehr als separates Subsystem betrachtet werden, sondern ist integraler Bestandteil eines ganzheitlichen Flugzeugs. Eine interdisziplinäre und fächerübergreifende Forschung mit neuen Schwerpunkten wie der Elektrotechnik ist vonnöten. In den aktuellen Forschungsprojekten an der UniBw in München wird dies bereits berücksichtig.
Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 04/2022 JUL/AUG