Circular Water Cities

Städte widerstandsfähig machen gegen Wasserstress

Beitrag von Gastbeitrag von Dr.-Ing. Hildegard Lyko Chefredakteurin gwf Wasser|Abwasser und F&S Filtrieren und Separieren Vulkan Verlag, Essen

Viel zu viel oder viel zu wenig Wasser: Dies sind Ausprägungen von Wasserstress, die Städte und Kommunen hierzulande und weltweit erfahren. Die Lösung: Regenwasser speichern und dieses ebenso wie aufbereitetes Abwasser im Kreislauf führen.

Wasserknappheit, ausgedörrte Grünflächen, sterbende Stadtbäume, soweit überhaupt vorhanden, Nutzungseinschränkungen für Frischwasser auf der einen Seite – auf der anderen Seite Überflutungen nach Starkregenereignissen, die Menschenleben kosten, Gebäude, Infrastrukturen und Existenzen vernichten: Beides sind extreme Auswirkungen von Wasserstress, wie viele Städte und Kommunen der Welt ihn bereits erfahren mussten. Meldungen über den drohenden „Tag Null“, den Tag, an dem sämtliche Frischwasserreserven aufgebraucht sein würden, aus den vergangenen Jahren für die Metropolen Kapstadt (Südafrika), Mexico City oder Chennai (Indien) schrecken auf und auch in Deutschland kam die Wasserversorgung in den Hitzejahren 2018 – 2020 mancherorts an ihre Grenzen. Und im vergangenen Jahr mussten das Ahrtal, das Sauerland, die Eifel und Südbayern Hochwasserkatastrophen erleiden, deren Ausmaße bis dahin für deutsche Städte kaum vorstellbar waren. Gemäß einer Einschätzung des Weltwirtschaftforums [1] werden sich weltweit mindestens 45 Städte mit einer Einwohnerzahl über 3 Millionen bis 2030 in akutem Wasserstress befinden und bis 2050 werden über 1 Mrd. Stadtbewohner weltweit unter Wasserknappheit leiden, wenn Wasser- und Abwassermanagement wie gewohnt weiter betrieben werden. Wasserstress stellt für die betroffenen Regionen ein hohes Wirtschaftsrisiko dar.

Von der linearen zur zirkulären Wassernutzung

Das Weltwirtschaftsforum stellt in seiner Schriftenreihe „Imagine if“ mit „Circular Cities“ [1] einen Gegenentwurf vor zur bisher linearen Wassernutzung. Bei der bisher weit verbreiteten linearen Nutzung wird Wasser aus der Trinkwasserleitung entnommen, genutzt und als Abwasser der Kläranlage und danach dem Vorfluter zugeführt. Ebenso wird der größere Anteil des in Städten anfallenden Regenwassers ungenutzt über das Kanalsystem abgeleitet. Dagegen besteht die Vision für die „Circular Water City“ darin, nicht nur Wasser so weit wie möglich im Kreislauf zu führen und so mehrfach zu nutzen, sondern auch die in Abwässern enthaltene Energie sowie die Nähr- und Wertstoffe zurückzugewinnen. Mit einer Erhöhung der Speicherkapazität für Regenwasser nach dem so genannten Schwammstadtprinzip stehen zusätzliche Wassermengen für Trockenperioden zur Verfügung. In Verbindung mit intelligenten Steuerungen helfen diese Regenwasser reservoirs, Städte bei extremen Niederschlägen vor Überflutungen zu schützen.

Singapur als Vorbild

Der Stadtstaat Singapur verfügt über keine eigenen Grundwasserreserven zur Deckung des Wasserbedarfs von Einwohnern, Gewerbe und Industrie. Trinkwasser wird gewonnen durch Meerwasserentsalzung und Aufbereitung gesammelten Regenwassers. Innerhalb des seit 2003 laufenden NEWater-Projekts werden derzeit etwa 40 % des Frischwasserbedarfs durch aufbereitetes Abwasser gedeckt. Dieser Anteil soll bis 2060 auf 55 % erhöht werden. In den mittlerweile fünf NEWaterAnlagen wird geklärtes Abwasser mittels Mikro- bzw. Ultrafiltration, Umkehrosmose und UV-Desinfektion zu hochreinem Wasser aufbereitet. Mit mittlerweile über 150.000 wissenschaftlichen Tests gehört das Produktwasser der NEWater-Anlagen wahrscheinlich zu den am umfangreichsten getesteten Wässern weltweit, die zur Wiederverwendung vorgesehen sind. Es hat Trinkwasserqualität gemäß der WHORichtlinien. Im Sommer 2020 wurde auch das erste mit diesem Wasser gebraute Bier öffentlich verkauft [2].

Deutschland und Europa: Schwammstädte und neue Siedlungskonzepte

Die Dürreperioden der Jahre 2018 — 2020 und die Hochwasserkatastrophen von 2021 haben gezeigt: Städte müssen gleichermaßen widerstandsfähig werden gegen beide Ausprägungen von Extremwettern und dabei helfen mitunter dieselben Maßnahmen in unterschiedlicher Weise. Die Speicherung von Regenwasser auf Grundstücks- oder Quartiersebene ist seit Jahrzehnten Bestandteil von Bebauungsplänen, nicht zuletzt, um bestehende Kanalnetze vor der Überlastung durch zusätzliche versiegelte Flächen zu schützen oder die Abwasserleitungen in neu zu erschließenden Baugebieten kleiner ausführen zu können. Ob dieses Regenwasser zur Bewässerung von Gärten und Grünflächen verwendet oder für andere Anwendungen aufbereitet wird, ist hierzulande oft dem Grundstücksinhaber selbst überlassen. Besteht die Gefahr, dass ablaufendes Oberflächenwasser verunreinigt ist (z. B. von Verkehrsflächen), wird eine Reinigungsstufe, meistens in Form eines Substratfilters, zwischengeschaltet. Mit der gezielten Schaffung von städtischen Grünflächen, auf denen sich ablaufendes Oberflächenwasser sammeln und versickern kann, wird nicht nur das Risiko der Überflutung von Straßen und Gebäuden gemindert. Denn über die stattfindende Anreicherung von Grundwasserreservoirs wird indirekt auch eine zusätzliche Vorsorge zur Sicherstellung der Wasserversorgung in Trockenperioden getroffen. Unbestritten ist mittlerweile auch der Nutzen derartiger blau-grüner Infrastrukturen, die auch Dachund Fassadenbegrünungen einschließen, zur Verbesserung des Stadtklimas, indem die Wasserverdunstung durch Pflanzen hilft, Hitzeinseln zu vermeiden [3].

Regenwassernutzung als Versorgungskomponente

Was unterscheidet die hierzulande zunehmend verbauten Rigolensysteme, Versickerungsflächen und Regenwasserzisternen von einem Konzept wie dem in Singapur verfolgten? Anders als in Singapur ist die Sammlung und Aufbereitung von Regenwasser mit dem Ziel der direkten Nutzung auf kommunaler Ebene hierzulande noch keine Option, die als Pfeiler der öffentlichen Wasserversorgung mitgedacht wird. Das könnte sich bald ändern, wenn man die Entwicklungen und Erkenntnisse zweier BMBF-Verbundprojekte (1), an denen Wissenschaftler:innen des Instituts für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik der Leibniz Universität Hannover (ISAH) federführend beteiligt sind, nutzt, um eine Schwammstadt konsequent als komplementäre Wasserversorgungsinfrastruktur auszugestalten. Dr. Maike Beier und Prof. Stephan Köster beschreiben in [4] die erweiterte Konzeption einer blau-grünen Schwammstadt, die – angelehnt an die Vorgehensweise bei der Trinkwasserversorgung – auf einem Multibarrierenprinzip beruht.

Die drei Barrieren sind:

1. die getrennte Bewirtschaftung verschmutzter Niederschlagsmengen (von Verkehrsflächen) und weitgehend unbelasteten Regenwassers,

2. die Aufbereitung und Speicherung unverschmutzter Niederschläge und

3. die Bereitstellung von aufbereitetem Regenwasser in der für die jeweilige Nutzung erforderlichen Qualität vor Ort, beispielsweise in einem „City Water Hub“, der in einer Parkanlage angesiedelt ist. In dieser Anlage wird Niederschlagswasser teilweise unbehandelt gespeichert und zum Teil durch Niedrigenergie-Technologien (z. B. schwerkraftgetriebene Membranfiltration) aufbereitet. Entsprechend der durch die Nutzung (Bewässerung, Straßenreinigung, Spülung öffentlicher Toiletten…) vorgegebenen Wasserqualität können verschiedene Wasserqualitäten vor Ort an einer Wassertankstelle entnommen oder bei einem Überangebot zu Anreicherung lokaler Grundwasserleiter versickert werden. Rückstände der Wasseraufbereitung werden durch den Abwasserkanal aufgenommen.

Von der Raumstation abgeschaut: das Closed Loop Concept (CLC)

Nijhuis Saur Industries & Semilla Sanitation, die Gewinner des ersten Aquatech Community Award, der im vergangenen November auf der Messe Aquatech in Amsterdam verliehen wurde, erhielten diesen Preis für die Errichtung des ersten Wohnquartiers in der Stadt Silvolde in den Niederlanden nach dem Closed Loop Concept. In dieser aus 13 Wohnhäusern bestehenden Siedlung werden etwa 2,4 m3 /d Grauwasser (Abwasser aus Duschen, Badewannen und Handwaschbecken) innerhalb der Gebäude gesammelt, aufbereitet und als Waschwasser sowie Toilettenspülwasser wieder genutzt. Abwässer von Spülbecken und Spülmaschinen werden in einer zentralen Grauwasserbehandlung aufbereitet, da für sie eine separate Fettabscheidung erforderlich ist. Das Schwarzwasser aus den Toilettenspülungen wird mittels Filtration, Umkehrosmose und Eindampfung zu Kompost und reinem Wasser aufbereitet. Letzteres wird vor Ort zur Grundwasseranreicherung versickert. Revolutionär ist die Trinkwasserversorgung der Bewohner: Denn es wird aus dem von den Dachflächen aufgefangenen Regenwasser durch mehrstufige Aufbereitung mittels Sandfiltration, Ultrafiltration und UVDesinfektion gewonnen. Für die Zukunft sieht das veröffentlichte Konzept auch die Nutzung des aufbereiteten Grauwassers aus den Küchen als Rohwasser zur Trinkwasserproduktion vor (s. Abb.).

 

(1) Gemeint sind das Projekt TransMIT – Ressourcenoptimierte Transformation von Misch- und Trennentwässerungen in Bestandsquartieren mit hohem Siedlungsdruck sowie das deutsch-chinesische Verbundprojekt „Smart Technologies for Sustainable Water Management in urban Catchments as Key Contributions to Sponge Cities“. Beide Projekte wurden bzw. werden vom BMBF gefördert.

Literatur

[1] World Economic Forum (WEF): Circular Water Cities – A circular water economy for cleaner, greener, healthier, more prosperous cities. Briefing paper (The Imagine If Water Series), Juli 2021, verfügbar als pdf-Dokument unter www.weforum.org/reports.​​​​​​​

[2] WaterWorld: PUB Singapore re-releases beer made from recycled water, 25. Februar 2020. S. www.waterworld.com.

[3] Y. Back, M. Kleidorfer, W. Rauch: Latente Wärme vs. sensible Wärme – Über dezentrale Niederschlagswasserbehandlung zur klimasensiblen Schwammstadt. gwf Wasser|Abwasser 6/2021, S. 27 – 31.

[4] S. Köster, M. Beier: Weiterentwicklung der Schwammstadt zu einer komplementären Wasserversorgungsinfrastruktur. gwf Wasser|Abwasser Praxiswissen Herausforderung Regenwasser 2022, S. 74 – 81, Vulkan Verlag, Essen

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2022 MÄR/APR