Modernisierung der bayerischen Wasserversorgungsunternehmen

Beitrag von Dr.-Ing. Hermann Löhner Werkleiter, Fernwasserversorgung Franken, Uffenheim

Für die Wasserversorgungsunternehmen in Bayern gibt es folgende Herausforderungen:

  • Gewährleistung der Versorgungssicherheit und Qualität
  • Strukturentwicklung durch den Klimawandel: Chancen und Risiken
  • Nachhaltigkeit benötigt Planungssicherheit in der Finanzierung und Organisation
  • Strategien auf lokaler Ebene operationalisieren (Strategieimplementierung)

Es gibt bereits viele etablierte und wirksame Instrumente und Methoden, um diesen Herausforderungen lösungsorientiert begegnen zu können. Die gemeinsame Kombination von Kennzahlenvergleichen und Benchmarking, dem Risiko-Management, dem Technischen Sicherheitsmanagement TSM (DVGW Arbeitsblatt W 1000) sowie dem Asset Management stellt die optimale Kombination dar. In Bayern gibt es hierzu weitere bereits entwickelte praxistaugliche Anwendungshilfen, wie beispielsweise die Checklisten des Bay. LGL, die Merkblattsammlung des Bay. LfU, die Wasserversorgungsbilanzen der Regierungen sowie die landesweite Effizienz- und Qualitätsuntersuchung, kurz: EffWB.

Digitalisierung: Ein wichtiger Motor der Modernisierung

Die Wasserversorgungsunternehmen stehen durch die Möglichkeiten der Digitalisierung vor einem grundlegenden Strukturwandel. Entlang der technischen Wertschöpfungskette, begonnen bei der Wasserschutzgebietsüberwachung, über die Wassergewinnung und -aufbereitung, bis hin zur Wasserverteilung, gibt es vielfältige technologische Innovationen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass dieser Strukturwandel nicht aufzuhalten ist. Im Vergleich zu anderen Industrien befindet sich die Trinkwasserversorgung, trotz zahlreicher erfolgreicher Leuchtturm-Projekte, bzgl. des Digitalisierungs-Reifegrades noch in einer frühen Phase. Gerade darin besteht jedoch eine große Chance, da die Wasserversorgung von den in anderen Industrien gemachten Erfahrungen profitieren kann.

Es besteht allerdings insbesondere im Bereich der Digitalisierung die Gefahr, dass lediglich einzelne Aspekte unabhängig voneinander realisiert werden und als Einzellösungen betrieben werden. Die Zusammenfassung von Bestands- und Betriebsdaten sowie weiterer Informationen aus dem Unternehmen für unterschiedliche Anwendungen gemeinsam zu nutzen, bietet einen Mehrwert, wie anhand der Entwicklungen im Bereich des Building Information Modeling (kurz: BIM; deutsch: Bauwerksdatenmodellierung) zu sehen ist.

Nachfolgend wird kurz am Beispiel der Fernwasserversorgung Franken (FWF) gezeigt, wie Wasserversorgungsunternehmen (WVU) die digitale Transformation zur Optimierung ihrer Betriebsführung nutzen können.

Digitale Transformation zur Verbesserung der betrieblichen Abläufe bei der Fernwasserversorgung Franken

Die Fernwasserversorgung Franken (FWF) beauftragte im Sommer 2000 die SIEMENS AG mit einem DigitalisierungsConsulting zur Erarbeitung einer langfristigen Unternehmensstrategie. Dabei sollten die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung konsequent auf ihre Eignung untersucht werden.

Die FWF als rein kommunaler Zweckverband versorgt weite Teile Mittel- und Unterfrankens mit Trinkwasser und hat als Fernwasserversorger die Aufgabe, Grundwasser zu erschließen, aufzubereiten, bereitzuhalten und übergebietlich an ca. 155 Städte und Gemeinden mit mehr als 400.000 Einwohnern zu verteilen. Das Verbandsgebiet der FWF umfasst eine Fläche von ca. 4.700 Quadratkilometern. Dabei beträgt die Wasserabgabe rd. 18 Mio. m³/Jahr. Das Trinkwasser wird aus 51 Brunnen gewonnen und in 5 Wasserwerken aufbereitet. Die Speicherung und Verteilung des Trinkwassers erfolgt über 44 Hochbehälter, 7 Wassertürme sowie über Transportleitungen mit einer Gesamtlänge von ca. 1.100 km.

Die Größe sowie die Struktur des Versorgungsgebietes verdeutlichen, dass die sichere und gleichzeitig wirtschaftliche Betriebsführung der Anlagen der FWF eine komplexe Aufgabe darstellt, die ohne die Unterstützung durch digitale Werkzeuge und Methoden nur sehr schwer zu erfüllen ist.

Für die Akzeptanz der digitalen Transformation in der Trinkwasserversorgung ist entscheidend, dass alle Innovationen rund um die Digitalisierung nicht als Selbstzweck gesehen werden, sondern einen Beitrag zu erhöhter Versorgungssicherheit, mehr Effizienz, verbesserter Qualität und höherer Verfügbarkeit leisten. Angefangen von der Anlagenauslegung und dem Engineering bis hin zu Inbetriebnahme, Betrieb, Service und Modernisierung von Systemen und Anlagen. Wesentliches Merkmal der Digitalisierung ist das häufig als IT/OT-Konvergenz bezeichnete Zusammenwachsen der industriellen mit der administrativen Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Mit der „Digitalisierung“ soll zum Ausdruck gebracht werden, dass es zukünftig zu einem deutlich vermehrten Einsatz von IKT bei der Automatisierung von technischen Prozessen kommt. Für die Akzeptanz der Digitalisierung in der Trinkwasserversorgung ist von entscheidender Bedeutung, dass die verwendeten Systeme den aktuellen IT-Sicherheitsanforderungen genügen. Aus diesem Grund sind bei der Erarbeitung von DigitalisierungsStrategien Vorkehrungen zu treffen, um sowohl die industriellen Steuerungssysteme als auch die IT-Systeme zuverlässig gegen Angriffe abzusichern.

Vorgehensweise zur Erarbeitung einer Digitalisierungs-Roadmap für die FWF

Zur Nutzung des vollen Digitalisierungspotentials hat sich die FWF für die Erarbeitung einer langfristigen Unternehmensstrategie zur digitalen Transformation entschieden. Um die Möglichkeiten der Digitalisierung in ihrer Gesamtheit bewerten zu können, wurden durch das Digitalisierungs-Consulting der Siemens AG einerseits die aktuelle Anforderungen an Technik, Prozesse und Organisation berücksichtigt und andererseits darauf aufbauend Vorschläge für die digitale Transformation erarbeitet. Das Untersuchungsfeld wurde hierbei eingegrenzt auf die Prozessleittechnik. Angrenzende Felder wie GIS (Geographical Information System), ERP (Enterprise Ressource Planning) und LIMS (Laboratory Information Management System) wurden flankierend mitbetrachtet, aber nicht weiter vertieft.

Das Digitalisierungs-Consulting erfolgt typischerweise in zwei aufeinander aufbauenden Phasen:

Phase 1: Bestandsaufnahme der vorhandenen technischen Systeme und Geschäftsprozesse sowie Identifikation von Handlungsempfehlungen

Phase 2: Konkretisierung von ausgewählten Handlungsempfehlungen, inkl. detaillierter Kosten-/Nutzenbetrachtung

Abgeschlossen wurde Phase 2 mit der Digitalisierungs-Roadmap, die die erarbeiteten Projekte zu einem „großen Bebauungsplan“ zusammenfügt. So können neben den technischen Abhängigkeiten auch Ressourcen, Budgets und zeitliche Aspekte zukünftig geplant werden. Die Roadmap stellt somit ein umfassendes Planungswerk für die kommenden Jahre dar.

Erfahrungen und Ergebnisse der FWF

Mehrere Präsenz- und Online-Sitzungen wurden mit dem Ziel durchgeführt, Handlungsoptionen zu identifizieren und erste Bewertungen auszusprechen, an denen sich die FWF bei ihrer strategischen Unternehmensplanung orientieren kann.

Voraussetzung für die Erarbeitung einer Digitalisierungs-Roadmap war die Identifikation der wesentlichen Geschäftstreiber, die die FWF zu ihrer digitalen Transformation bewegen. Diese Geschäftstreiber wurden als Grundlage für die Diskussion in der Priorisierung der Handlungs-Optionen verwendet (s. Abbildung).

Aufbauend auf den Ergebnissen des Workshops wurden im Untersuchungsfeld der Prozessleittechnik folgende vier Projektideen identifiziert:

  • Modernisierung des Prozessleitsystems
  • Service & Organisation
  • CAE-System für Engineering, Dokumentation und Wartung
  • Betriebsdatenerfassung und Informationsbereitstellung (Dashboards)

Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der digitalen Transformation besteht in der Definition der Systemlandschaft in Form eines Bebauungsplans, der möglichst alle IT/-OT-Systeme abdeckt.

Diese Systemübersicht orientiert sich an der internationalen Norm ISA-95. Zusätzlich enthält sie weitere Digitalisierungsmöglichkeiten, welche als grüne Punkte in die Systemlandschaft eingetragen sind. Eine unabhängige Auflistung an möglichen Produktangeboten zur Optimierung der Systemlandschaft ermöglicht einen Überblick ausgewählter Digitalisierungsoptionen.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2022 MÄR/APR