Beitrag von Moritz Heber, Deutsches Museum München
Häuser, Straßen, Tunnel, Kanäle, Türme, Brücken – mit Beton wird viel gebaut, aber Boote? Beton ist schwer, „schwimmt“ nicht und überhaupt, warum sollte man Boote aus Beton bauen? Welche Vor- und Nachteile Beton für den Bau von Schiffen hat und wo Beton-Boote heute noch eingesetzt werden.
Interessanterweise kommt der Schifffahrt in der Geschichte von Beton durchaus eine gewisse Bedeutung zu: Der Engländer John Smeaton legte beim Bau des Eddystone-Leuchtturms 1755 die Grundlagen für die Entwicklung von modernem Zement. Und der Franzose Joseph-Louis Lambot, der fast 100 Jahre später auf die geniale Idee kam, Beton mit Eisen zu verstärken, baute als Demonstrationsobjekt ein Boot. Es sollte „unverrottbar“ sein und wurde 1855 auf der Weltausstellung in Paris präsentiert (noch heute steht es in einem Museum in Südfrankreich). Erfolg hatte Lambot allerdings nicht; es wurde nur eine einzige Boje aus Beton geordert – für den Hafen von Toulon.
Dabei hat Beton tatsächlich eine Reihe von Vorteilen: Er ist langlebig und verrottet nicht im Wasser. Außerdem kann der Rumpf in einem Stück hergestellt werden, es gibt also keine Fugen, durch die Wasser eindringen kann. Dadurch sinken auch die Unterhaltskosten, denn Fugen müssen regelmäßig nachgedichtet werden. Beton ist feuerfest und im Gegensatz zu einem Rumpf aus Eisen rostet Beton nicht. Das Armiereisen im Beton ist bei richtiger Bauweise gut vor Rost geschützt, daher wird kein Schutzanstrich gegen Rost benötigt.
Die Erfahrung zeigt auch, dass sich vergleichsweise wenig Muscheln und Algen an Betonrümpfen festsetzen. Da der Beton bei einer Kollision „bröckelt“, wobei eher viele kleine Risse als ein großer Riss entstehen, sind Leckagen leichter zu reparieren. Ein wesentlicher Nachteil ist jedoch das hohe Gewicht von Beton. Einerseits erhöht es die Stabilität der Schiffe, die bei Seegang weniger stark rollen. Andererseits verschlechtert sich das Verhältnis von Tragfähigkeit zu Volumen des Rumpfes: Bei gleicher Tragfähigkeit werden die Schiffe länger, da die maximale Breite (Brücken!) und die maximale Tiefe (Wassertiefe in Kanälen oder Häfen!) begrenzt sind. Längere Schiffe lassen sich jedoch schlechter manövrieren.
Pionier im Beton-Schiffbau war der Italiener Carlo Gabellini aus Rom. Nach anfänglichen Versuchen im Kleinen 1896 wuchsen die Dimensionen rasch und schon 1905 lief das erste Frachtschiff mit einer Zuladung von 150 Tonnen vom Stapel. Als kleine Randnotiz sei erwähnt, dass Gabellini mit natürlichem Zement arbeitete, sogenannter Puzzolanerde. Diese wird um Puzzoli, einem Ort 200 km südlich von Rom, abgebaut und ist dasselbe Material, mit dem bereits in der Antike gebaut wurde – „Caementitium“ nannten es die alten Römer. Zeitgenossen galt diese jahrhundertealte Tradition auch als Erklärung für Gabellinis Erfolg.
1912 baute eine Werft in Baltimore, USA, ein Schiff mit 500 Tonnen Zuladung; dies war der vorläufige Höhepunkt der Entwicklung. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in den meisten Ländern Europas und in Nordamerika Werften, die mit Beton Erfahrung gesammelt hatten. Wirkliche Hochphasen erlangte der Beton-Schiffbau jedoch während der beiden Weltkriege, als Stahl Mangelware war und durch den Seekrieg, in dem auch viele Handelsschiffe versenkt wurden, der Bedarf an Frachtraum sehr stark anstieg.
Besondere Erwähnung verdient hier vor allem die Arbeit eines weiteren, für die Geschichte des Betons wichtigen Ingenieurs, nämlich Ulrich Finsterwalder: Der Pionier auf dem Gebiet der Kuppelschalen und Tonnendächer leitete ab 1942 eine Versuchsstelle zum Bau von Betonschiffen. Er konstruierte den Rumpf als Schale, wodurch die Spanten (Rippen) entfielen und eine Menge Gewicht gespart wurde. Durch Verwendung von gebranntem Kies als Zuschlagstoff entwickelte Finsterwalder außerdem einen Leichtbeton, dessen Dichte er um 600 kg/m³ reduzierte.
Trotzdem hat sich die Bauweise nach dem Zweiten Weltkrieg nicht durchsetzen können, Schiffe aus Beton sind ein Nischenprodukt geblieben. Sie werden aber immer noch gebaut – aus sportlichen Gründen: Die unter Berufsschülern und Bauingenieur-Studenten sehr beliebte Beton-Kanu-Regatta findet alle zwei Jahre statt. Gewertet wird in den drei Kategorien sportliche Leistung, Konstruktion und Gestaltung. Mittlerweile ist zumindest das vermeintlich hohe Gewicht von Beton keine Einschränkung mehr: 2015 startete die TU Dresden mit dem leichtesten Kanu der Regatta-Geschichte – nur 11,25 kg brachte es auf die Waage (bei 4,2 m Länge). Die Nische floriert!
Quellen
[1] Dipl.-Ing. Fr. W. Achenbach: Grundlegende Betrachtungen zum Eisenbetonschiffbau. In: Jahrbuch der Schiffbautechnischen Gesellschaft, Band 20, 1919, Berlin
[2] Beton: Betonkanu-Regatta
Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2019 September/Oktober