Beitrag von Frank Dittmann, Deutsches Museum, München
Industrie 4.0 – das Leitthema der Hannover Messe 2016 – ist heute in aller Munde. Aber bereits Ende des 18. Jh. gab es in den USA eine automatische Mühle: im Jahre 1785 ging in den Wäldern von Delaware am Red Clay Creek die erste vollautomatische Produktionsanlage der Welt in Betrieb – eine Getreidemühle des amerikanischen Erfinders Oliver Evans (1755 – 1819). Mehr dazu.
Evans stellte seine Erfindung einer Abordnung von Mühlenfachleuten vor. Um zu beweisen, dass die Mühle tatsächlich selbsttätig arbeitete, verließ er die Gruppe und ging zur Heuernte aufs Feld. Aber die Experten waren keineswegs euphorisch: Die Vorrichtung sei – konstatierten sie – „ein Klapperkasten, der die Aufmerksamkeit eines vernünftigen Mannes nicht verdient.“ [2]
Zutiefst enttäuscht hielt Evans den Skeptikern entgegen: „Der menschliche Geist scheint außerstande etwas zu glauben, was er sich nicht vorstellen und was er nicht begreifen kann... Ich spreche aus Erfahrung, denn als die Behauptung zuerst aufgestellt wurde, daß sich Getreidemühlen bauen ließen, die sich selbst betrieben und sogar Mehl von den Steinen holten und das Getreide von den Wagen und es in die obersten Stockwerke hoben, das Mehl zum Abkühlen ausbreiteten und es mit denselben Operationen in den Trichter zum Beuteln füllen usw., bis das Mehl zum Abtransport fertig war, da lautete die Antwort: Man kann das Wasser nicht den Hügel hinauf fließen lassen, man kann keine hölzernen Müller machen“ [3].
Wenige Jahre nach der Errichtung brannte die Mühle aus und wurde nicht wieder aufgebaut. Daneben konstruierte Evans auch Dampfmaschinen, eine Förderanlage, den „Hopper Boy“ und einen Mehlkühler, Außerdem dampfbetriebene Bagger, darunter einen Hafenbagger, der als erstes Fahrzeug in den USA gilt, das sich aus eigener Kraft fortbewegen konnte.
Wie der zeitgenössische Stich zeigt, konnte die Mühle das Getreide von Fuhrwerken (1) oder Schiffen (30) aufnehmen. Eine Waage (2) stellte das Gewicht fest. Anschließend wurden die Körner zu einem Becherwerk (4) transportiert, das sie auf den obersten Boden (5) brachte. Von dort durchliefen sie selbsttätig den gesamten Mahlprozess – und zwar „ohne menschlichen Eingriff“ und „stockungslos“, wie Evans stolz angab [1].
Der vielseitige Erfinder Oliver Evans erfuhr erst viel später eine adäquate Würdigung. So hielt im November 1885 der Ingenieur Coleman Sellers Jr. am Franklin Institute in Philadelphia einen Vortrag über Evans und seine Erfindungen [2].
In Meyers Konversationslexikon von 1888 steht über den vielseitigen Erfinder: „geb. 1755 zu Newport in Delaware, kam bei einem Wagner in die Lehre und konstruierte nach kaum überstandener Lehrzeit eine Spinnmaschine und eine Mühleneinrichtung. Auch entwarf er eine Hochdruckmaschine ohne Kondensation, die er zur Fortbewegung von Wagen empfahl, und von der er 1787 und 1794 Zeichnungen nach England sandte.
Mit seinen Brüdern verbunden, verbesserte er die Details der Mahlmühlen, und 1786 suchte er die Patentierung einer Dampfmühle und eines Dampfwagens nach, die mit hohem Dampfdruck betrieben werden sollten. 1800 begann er den Bau derartiger Einrichtungen, und 1804 baute er einen Dampfbagger, der durch ein von der Dampfmaschine bewegtes Schaufelrad getrieben wurde. Dieselbe Dampfmaschine hatte vorher als Lokomotive den Bagger von der Fabrik ans Wasser befördert.
Evans nimmt neben Watt eine sehr hervorragende Stellung in der Geschichte der Dampfmaschine ein, aber er wurde nicht in gleichem Maß durch die Verhältnisse gefördert, und epochemachende Ideen, wie die Benutzung der Dampfmaschine zum Fortbewegen von Schiffen und Lastwagen, konnte er nicht zur Ausführung bringen, weil kein Kapitalist ihn unterstützte. Für die Müllerei konstruierte er den Elevator, den Conveyer, den Mehlkühler, den Aufschütter etc. Er starb 19. April 1819 in Pittsburg” [4].
Die aktuelle Encylopedia Britannica wiederum stellt die hier vorgestellt Pionierarbeit für die „erste kontinuierliche Produktionslinie“ heraus: „Er schuf eine Produktionslinie, in der alle Bewegungen in der Mühle automatisch ablaufen … Wasserräder lieferten die Energie. Das Getreide wurde an einem Ende eingespeist, durch ein System von Förderer und Rutschen durch das Mahlwerk und die Reinigung geleitet und erschien am anderen Ende als fertiges Mehl. Das System, das die Kosten nach Evans Berechnungen um 50 % senkte, wurde viel später in amerikanischen Mühlen nachgebaut“ [5].
Literatur
[1] Evans, Oliver: The young mill-wright and miller‘s guide. Philadelphia 1836
[2] Coleman Sellers Jr.: Oliver Evens and his Invention. In: Journal of the Franklin Institute July 1886, S. 4
[3] Giedion, S.: Die Herrschaft der Mechanisierung. Frankfurt/M. 1982, S. 106-107
[4] Meyers Konversations-Lexikon. 4. Aufl. 5. Bd. Leipzig, 1888, S. 948
[5] Britannica: Oliver Evans - American inventor
Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2019 Mai/Juni