Wasserstoffwirtschaft gestern, heute, morgen

Der historische Hintergrund von Konrad Schönleber

Beitrag von Dr. Konrad Schönleber, Deutsches Museum

In den Debatten um eine nachhaltige Energieversorgung rückt derzeit wieder Wasserstoff stärker in den Fokus. Interessant ist, dass über diesen Energieträger bereits seit 150 Jahren diskutiert wird. Auch in Deutschland wird über Wasserstoff als Teil des Energiesystems nachgedacht. Über die Geschichte und Zukunft von Wasserstoff als Energielieferant.

Knappe Ressourcen

Die Motivation für die Idee einer auf Wasserstoff als zentralem Energieträger basierenden Energieversorgung war zunächst eine befürchtete Ressourcenknappheit. Insbesondere die Endlichkeit von Kohle und später auch Öl im Zusammenhang mit dem rasant steigenden Energieverbrauch Ende des 19. Jh. waren hier ausschlaggebend.

So wurde die Wasserstoffwirtschaft schon im 1874 erschienenen Science-Fiction-Roman „Die geheimnisvolle Insel“ von Jules Verne erwähnt. Die Hauptfigur, Ingenieur Cyrus Smith, antwortet darin auf die Frage, wie denn in Zukunft der steigende Energiebedarf gedeckt werden könnte: „ … mit Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist […]. Eines Tages werden Dampfer und Lokomotiven keine Kohlebunker mehr führen, sondern Gastanks […] Das Wasser ist die Kohle der Zukunft. …“. Eine Antwort auf die Frage nach den Primärenergieträgern, die für die Wasserspaltung zum Einsatz kommen sollten, blieb Verne allerdings schuldig.

Wasserstoff als Energieträger

Visionäre der Wasserstoffwirtschaft sahen zunächst erneuerbare Energien und nach dem Ende des 2. Weltkrieges auch Kernenergie als primäre Energieträger vor. Erstere kamen etwa beim ersten lokalen Energiesystem zum Einsatz, das auf Wasserstoff basierte, welches der dänische Windenergiepionier Poul La Cour bereits 1895 aufbaute. Es war jedoch letztlich erst das Aufkommen der Kernenergie, welches für viele Verfechter der Wasserstoffwirtschaft eine Umsetzung in greifbare Nähe rückte.

In den 1970er Jahren wurden eine Reihe von internationalen Konferenzen, Journalen und Lobby- und Vernetzungsinitiativen ins Leben gerufen, die zum Teil bis heute existieren. Die umfassendsten Konzepte einer Wasserstoffwirtschaft gingen davon aus, dass zentral hergestellter Wasserstoff als dominantes Energietransportmedium zum Einsatz kommt und u. a. in dezentralen Brennstoffzellen zur Stromproduktion dient.

Knappe Deponien: Fokus auf die Folgen der Energienutzung

Heute wird die Idee der Wasserstoffwirtschaft wieder eher im Zusammenhang mit einem auf erneuerbaren Energien basierend Energiesystem diskutiert. Die Motivation, über ein solches Energiesystem mit Wasserstoff als nur einem von vielen Bausteinen zur Energieversorgung nachzudenken, hat sich dabei gewandelt. Es geht nicht mehr in erster Linie darum, knappe fossile Ressourcen zu sparen, vielmehr sind es die Folgen der Energienutzung, die im Fokus stehen. In erster Linie ist dies die sich immer stärker beschleunigende globale Erwärmung durch den Anstieg von CO₂ in der Atmosphäre. Es geht also weniger um die Energiequellen, die zu versiegen drohen, sondern vielmehr um die Seite der CO₂-Deponie, deren Kapazitäten weit überschritten sind.

Power-to-X (P2X) in Deutschland

Wasserstoff als Energielieferant

In Deutschland wird über Wasserstoff als Teil des Energiesystems vor allem unter dem Begriff Power-to-X (P2X) nachgedacht. Dieser macht deutlich, welche Rolle dem Wasserstoff dabei zugedacht wird. Mit „Power“ ist elektrische Energie gemeint, von der es immer mehr Überschüsse im Netz gibt. Diese Überschüsse treten immer häufiger auf, in einem Energiesystem, welches hauptsächliche oder sogar ausschließlich auf erneuerbare Energien als Primärenergiequelle setzt.

Das „X“ in P2X steht für eine breite Familie von meist organischen Substanzen sowie Wasserstoff selbst, der in jedem Fall ein Zwischenprodukt der Prozessketten ist. Diese Substanzen erscheinen vor allem deshalb attraktiv, weil damit neben dem elektrischen Energiesystem die anderen Elemente der Energieversorgung ebenfalls auf eine erneuerbare Basis gestellt werden könnten. Dies ist etwa für den Flugverkehr notwendig, aber auch z. B. für die Stahlproduktion

Auch Fahrzeughersteller beschäftigen sich immer wieder mit Wasserstoff als Energiequelle. Dieser konnte sich bisher nicht durchsetzen. Vielleicht erhalten mit Wasserstoff angetriebene Fahrzeuge im Zusammenhang mit Power to X eine neue Chance.

Unklare Zukunft von Wasserstoff im künftigen Energiesystem

Alle P2X-Anwendungen sind technisch erprobt, stehen jedoch wirtschaftlich in einem Konkurrenzverhältnis zu alternativen Ansätzen, die die Überschüsse aus dem erneuerbaren Energiesystems nutzen. Ob der Wasserstoff in Zukunft aus seiner bescheidenen Nischenrolle heraustreten und Hauptakteur im Energiesystem werden kann, lässt sich heute nicht mit Sicherheit sagen.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2020 Juli/August