Ein Studium zum Anfassen

Ausbildung in der Textiltechnik

Interview mit Prof. Dr.-Ing. Maike Rabe, Leiterin des Forschungsinstituts für Textil und Bekleidung an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach und Dr. Enrico Putzke, Geschäftsführer des Instituts für Materialwissenschaften an der Hochschule Hof.

Textilingenieure und Textilingenieurinnen planen, leiten und überwachen u.a. die Fertigung in den unterschiedlichen Sparten der Textilindustrie. Über die facettenreiche Ausbildung sprach die TiB mit Prof. Dr.-Ing. Maike Rabe, Leiterin des Forschungsinstituts für Textil und Bekleidung an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach und Dr. Enrico Putzke, Geschäftsführer des Instituts für Materialwissenschaften an der Hochschule Hof.

TiB: Die Fachbereiche ihrer beider Hochschulen stehen stellvertretend für eine Vielzahl an Studiengängen der Textiltechnik. Welches fachliche Spektrum bilden sie jeweils ab?

Dr. Enrico Putzke: An der Hofschule Hof bieten wir zu den Schwerpunkten „Innovative Textilien“ und „Textildesign“ zwei Bachelor-Studiengänge und zwei englischsprachige Master-Studiengänge an. Im Bereich „Textildesign“ haben viele Studierende zunächst eine berufliche Ausbildung in einem fachverwandten Gebiet gemacht, bei den „Innovativen Textilien“ sehen wir eher den klassischen Weg, also direkt nach dem Abitur an die Hochschule. Wir haben uns hier auch der Internationalisierung verschrieben, denn die Studieninhalte werden ab dem 3. Semester in Englisch gelehrt. Die beiden Studiengänge haben viele Überschneidungen – insbesondere was die technischen Grundlagen betrifft. Sie sind quasi vernetzt und das ist in Deutschland einmalig.

Prof. Dr.-Ing. Maike Rabe: Im Bereich der Bachelor-Studiengänge mit dem Abschluss Bachelor of Science haben wir sowohl für den Bekleidungs- als auch für den Textilbereich jeweils drei Studiengänge. Für den Textilbereich sind das Textiltechnologien, Textiles Design und Textiles Management, und für den Bereich Bekleidung Produktentwicklung, Bekleidungsdesign und Bekleidungsmanagement. Ganz begeistert sind die jungen Leute von den beiden dualen Studiengängen für die kooperative Berufsausbildung plus Ingenieurstudium. Außerdem bieten wir mit Textile Clothing Management einen internationalen Studiengang an. Unsere Masterstudiengänge haben die Schwerpunkte Textil, Bekleidung und Design sowie Management und Handel und das bieten wir sowohl in Deutsch als auch in Englisch an. Im Bereich der Master gibt es jetzt in diesem Halbjahr erstmalig und weltweit einmalig den Studienschwerpunkt Smart Textiles mit dem Titel Textilelektronik in Kooperation mit der Elektrotechnik. Generell haben wir mit 32 Professuren natürlich sehr viele Vertiefungen und Schwerpunkte. Ich glaube – und das kann man vielleicht für beide Hochschulen sagen, – das Besondere an den HAWs und was sie von den Universitäten abgrenzt ist, dass alle Professorinnen und Professoren mit einem Hintergrund aus der Wirtschaft kommen und einen hohen Praxisbezug haben

Putzke: Für diesen Praxisbezug im Studium haben wir in Hof das Beruf plus Studium Modell, und für ausländische Studierende die sog. Textile Summer School.

TiB: Gibt es weitere Vorteile der Hochschulen für angewandte Wissenschaften?

Rabe: Bei uns sind rund 2.000 junge Leute in diesen Studiengängen und davon kommen 80 % aus Deutschland, 20 % aus dem Ausland. Aus Nordrheinwestfalen kommen 60 % unserer deutschsprachigen Studierenden aus ganz Deutschland, wodurch der Bezug zur regionalen Wirtschaft gestärkt wird. Ich glaube, es ist wichtig für den Charakter dieser Hochschulen, immer auch diese Verbindung zur Wirtschaft zu haben.

TiB: Welche Kompetenzen erlangen die Studierenden?

Rabe: Unsere Abschlüsse sind Bachelor of Science und Master of Science, selbst in den Bereichen Textiles Design oder Bekleidungsdesign sind unsere Absolventen somit Ingenieure, so dass sie Ästhetik und Technik beherrschen.

Mit diesen Basiskompetenzen sind alle Absolventen berufsfähig und können in der Textil- und Bekleidungstechnik, aber auch in der Wirtschaft und selbstverständlich auch im Handel aktiv werden. Mit dem Master vertiefen sie dann noch ihre Kompetenzen im wissenschaftlichen Arbeiten, Recherchieren und Forschen. Die wissenschaftliche Berichterstattung – Forschungsberichte usw. – erlernen sie zusätzlich.

Putzke: Auch bei uns wird den Designern im Bereich der Werkstoffe viel Grundlagenwissen vermittelt. Wir übernehmen an unserem Institut einige der Bachelor-Absolventen aus dem Textil-Design Bereich als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die arbeiten dann mit den Materialien und den Maschinen genauso gut wie die Studierenden aus dem Bereich Maschinenbau. Das zeigt, wie breit die Erkenntnisvermittlung schon im Studium ist. Und das sind auch Maschinen und Gerätschaften, mit denen sie später im Berufsleben, draußen in den Unternehmen und Betrieben umgehen müssen.

TiB: Was wird in der Industrie vorrangig gebraucht und wie sind die Berufsaussichten für angehende Textilingenieure?

Putzke: Wir bilden natürlich auch für unseren Bedarf aus und halten unsere Absolventen ein Stück weit bei uns. So können sie nach der Ausbildung über verschiedene Projekte ein bisschen ins Berufsleben hineinschmecken. Es ist nicht unüblich, dass wir Mitarbeiter an Unternehmen, die in den Projekten beteiligt sind, verlieren. Es gibt für Hochschulen den Begriff des Durchlauferhitzers, damit müssen wir einfach leben.

Rabe: Wir streben an, die Studierenden im Studium mit Forschung vertraut zu machen und dafür zu sorgen, dass sie schnell in die Arbeitswelt einsteigen. Wir möchten unsere besten Leute nicht bei uns in der Forschung halten, auch wenn wir es manchmal gerne täten – sie werden aber in der Wirtschaft einfach noch stärker gebraucht.

TiB: Es wird ja auch die Beschäftigungsfähigkeit angestrebt.

Rabe: Was die Industrie vorrangig braucht, ist eine hohe Ingenieurskompetenz und wirklich auch Faktenwissen.

Methodenkompetenz benötigen die jungen Leute natürlich auch, aber diese erlernen sie zum Teil auch dann, wenn sie in ihrem Beruf gestartet sind. Von der Wirtschaft hört man, dass es wichtig ist, dass sie die Grundlagen beherrschen und darauf legen wir auch großen Wert. So wie es Herr Putzke sagte, Wissen in Theorie und Praxis, auf dass die Studierenden einen soliden Sockel haben, auf dem aufgebaut werden kann. Das ist auch meine persönliche Meinung: Wissen, wissen, wissen. Und nicht nur wissen, wo es steht, sondern anwendbares Wissen. Die Berufsaussichten sind sehr gut, unsere Bachelor und Master werden alle sehr gut vom Markt aufgenommen.

TiB: Wie wird der großen Interdisziplinarität des Textilbereichs in der Ausbildung Rechnung getragen?

Rabe: Die Interdisziplinarität ist eine große Herausforderung. Durch den Aufbau des Studiums, wie zum Beispiel durch das Pflichtpraxissemester, können die Studierenden diese komplexen und vielfältigen Prozesse der Textilbranche auch im Studium schon erkennen. Durch Kooperation mit anderen Fachbereichen wie z. B. der Elektrotechnik und gezielte Besetzung der Professuren mit Experten, die andere Wissensgebiete abdecken, können wir dieser Notwendigkeit Rechnung tragen.

Putzke: Wenn sich die Studierenden die Themen selber suchen und dann in Firmen gehen, ergibt sich diese Interdisziplinarität schon fast von selbst. Wir wollen die Grundlagen solide vermitteln und nicht zu viele Aspekte von außen mit hinein zu nehmen. Da kann man sich auch manchmal verlieren. Mit unserem relativ neuen, englischsprachigen Master Sustainable Textiles werden auch neue Themen wie Design for Recycling behandelt.

TiB: Die Textilindustrie ist Deutschlands drittgrößter Industriezweig. Inwieweit werden in der Branche Nachhaltigkeitskriterien erfüllt?

Rabe: Textil und Bekleidung ist auch zweitgrößtes Konsumgut in Deutschland. Und die Frage ist: Was ist nachhaltig und was ist normal? Es sehr wichtig, in der Lehre den Stand der Technik zu vermitteln, der oftmals international gar nicht erreicht wird. Ein Schadstoff gehört eben einfach auch nicht in ein Textil. Insofern lässt sich Schadstofffreiheit nicht als Nachhaltigkeit verkaufen, das müsste Normalität sein. Also: Wie kommt man über die Normalität hinaus? Hier gelten die Nachhaltigkeitsaspekte der Europäischen Union. In der Lehre werden die Aspekte Rohstoffe, nachhaltige neue Werkstoffe, Energieversorgung, Abwasser und Abluft mit abgebildet.

Putzke: Der Aspekt der Nachhaltigkeit ist wichtig, es wäre aber hilfreich, wenn wir Diskussionen nicht nur idealistisch, sondern mehr technisch führen würden.

TiB: Das Umdenken geht von linearen Wertschöpfungsketten hin zu zirkulären Wertschöpfungsketten. Die Hochschule Hof arbeitet intensiv mit Hochschulen in Indien und Bangladesch zusammen, die Hochschule Niederrhein bietet einen kooperativen Studienabschluss mit China an. Gibt es weitere internationale Zusammenarbeit?

Rabe: Ja, natürlich. Das Thema Smart Textiles wird in Kooperation mit einer Universität in Skandinavien und einer Universität in Indonesien aufgebaut.

Putzke: Es klingt unspektakulär, aber eigentlich muss man zurück zum Normalen. Dazu gehört, das es erstmal um Austausch und Wissenstransfer geht.

TiB: Welche Entwicklungen sehen Sie?

Rabe: Man muss betonen, dass Textilund Bekleidungswirtschaft immer schon global war und global bleiben wird, weil bereits die Faserstoffe nicht in ausreichendem Maß in Europa erzeugt werden. Meiner Meinung nach ist das größte Umweltproblem, das am schnellsten behoben werden könnte, die Überproduktion. Hier einen Wandel einzuleiten sehe ich als große Aufgabe für die Entwicklung in der gesamten Branche an.

Putzke: Die Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, sind weiterhin innovativ, suchen sich auch neue Betätigungsfelder. Es werden klassische Absatzzweige wegbrechen, aber ich sehe da keinen Abbruch, zumindest was den Innovationswillen und die Stärke angeht.

Das Interview führten Prof. Dr. Britta Bolzern-Konrad und Silvia Stettmayer

 

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2022 November/Dezember