Kreislaufwirtschaft gestalten

Recycling Atelier Augsburg

Beitrag von Prof. Dr.-Ing. Stefan Schlichter und Dr.-Ing. Georg Stegschuster Institut für Textiltechnik Augsburg gGmbH

Weniger als 1 % aller Textilien werden im Kreislauf recycelt. Diese Tatsache ist vor dem Hintergrund der notwendigen Ziele zur Erreichung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft eine sehr enttäuschende Situationsbeschreibung. Dies zu ändern erfordert ambitionierte Schritte hin zu einer nicht zuletzt durch den Green Deal der EU geforderten Kreislaufwirtschaft.

Der Fast Fashion Trend, die ausgelagerten Produktionsketten und eine allgemein sinkende Rohstoffqualität befeuern diese Entwicklung immer noch in die falsche Richtung. Die ITA Augsburg gGmbH präsentiert – als Teil der ITA Group – zusammen mit dem Hauptpartner Hochschule Augsburg und einem starken Netzwerk aus Partnerfirmen ein neuartiges und weltweit bisher einzigartiges Konzept für ein ganzheitliches sinnhaftes Recycling von Textilien: das Recycling Atelier Augsburg.

Das Recycling Atelier ist ein Zentrum für Forschung und Entwicklung entlang der gesamten textilen Produktionskette für das Textilrecycling. Es verbindet darin die einzelnen Prozessschritte des textilen Recyclings im Maßstab und der Vorgehensweise einer Modellwerkstatt. Die Bündelung der wichtigsten Prozesse ermöglicht eine ganzheitliche und umfassende Forschung entlang der Wertschöpfungskette des Textilrecyclings, die es bisher in dieser Form nicht gibt. Das starke Konsortium aus Wirtschaft und Forschung leitet mit dem Recycling Atelier als Katalysator die dringend notwendige Trendwende hin zu einer echten Kreislaufwirtschaft ein. Im Fokus des Ateliers stehen dabei Upcycling und Design 4 Recycling. Upcycling bezeichnet das hochwertige Recycling, bei dem aus Alttextilien wieder neue hochwertige Textilien und keine Putzlappen werden. Unter Design 4 Recycling wird die Gestaltung eines kreislauforientierten Produktdesigns verstanden. Bereits bei der Planung eines neuen Produkts spielt die spätere Wiederverwendbarkeit eine zentrale Rolle, die mitgedacht wird.

Das Atelier (s. Abb. 1) umfasst sämtliche Prozessschritte von der Materialanalyse über die Sortierung, die Aufbereitung und die Textile Verarbeitung – von der Vorbereitung über die Spinnerei oder die direkte Vliesstofferzeugung – und Produktgestaltung. Bei jeder Stufe unterstützt ein Unternehmen aus der Branche die Forschung mit der industriellen Sichtweise und Kompetenz. Gleichzeitig führt der hohe Grad an Digitalisierung innerhalb der Kette durch eine hochwertige und moderne Datenerfassung, -aufbereitung und -auswertung dazu, dass der Einsatz von Methoden der künstlichen Intelligenz – maschinelles Lernen und Neuronale Netze – gelingt. Beispielsweise wird für das Sortieren – das heutzutage zu 100 % manuell erfolgt – eine automatisierte Lösung durch Einsatz von Sensorik, Robotik und künstlicher Intelligenz entwickelt.

Die sieben Schritte des Textilrecyclings lassen sich folgendermaßen charakterisieren:

Materialanalyse

Textilien werden in einer Vielzahl von Prozessen in differenzierten Stufen der Wertschöpfungskette hergestellt. Die Materialanalyse dient dazu die Zusammensetzung und Qualität der Alttextilien festzustellen. Forschungsansätze sind die detaillierte Analyse der Materialen unterstützt durch KI-Systeme und mittels umfassendem Laborequipment zur Schnellanalyse.

Sortierung

Der Sortierprozess findet heute in reiner Handarbeit statt und erfordert gleichzeitig ein hohes Maß an Sachkenntnis über Material, Beschaffenheit und Qualität der Textilien. Im Recycling Atelier wird dies schrittweise durch neuentwickelte, automatisierte Sortierprozesse ersetzt, bei denen Sensorik, Robotik und künstliche Intelligenz Einsatz finden.

Aufbereitung

Im Prozessschritt der Aufbereitung werden die sortierten Textilien zerkleinert, von Störstoffen befreit und bis zur Einzelfaser aufgelöst. Das entscheidende Qualitätskriterium im mechanischen Recycling ist die Faserlänge der Einzelfasern. Eine feine Abstimmung der Maschinen und die KI-gestützte Erfassung und Auswertung der Produktionsdaten sind der Schlüssel zum Erfolg. Die begleitende Forschung zielt auf ein längenerhaltendes Recycling durch Prozessanalyse und konstruktive Entwicklungen.

Textile Verarbeitung

Die aufbereiteten Fasern gelangen in dieser Station wieder in ein textiles (Zwischen-)Produkt indem entweder Faserbänder (s. Abb. 2) oder Vliesstoffe erzeugt werden. Die Verarbeitung der kürzeren Recyclingfasern erfordert ein hohes Maß an Prozessverständnis und -kontrolle, um zu einem Produkt guter Qualität zu gelangen. Eine große Unterstützung kann dabei der Einsatz von Methoden der Künstlichen Intelligenz zur Prozessmodellierung und -analyse sein. Außerdem wird im Atelier das gezielte Mischen von unterschiedlichen Recyclingqualitäten und Neufasern zur Gewährleistung der Produktqualität untersucht.

Spinnerei und Flächenherstellung

In der Spinnerei wird das Kardenband verstreckt (vorzugsweise Ringspinnen, um hohe Qualität sicherzustellen) oder aufgelöst und neuformiert (Rotorspinnen) und gedreht, um ein feines und festes Garn zu erhalten. Ziel ist es einen möglichst hohen Recyclinganteil bei hochwertigen Garnen (Ringspinnen) zu erreichen. Die Forschungsansätze reichen von der Regelung der Prozessparameter durch KI-Systeme bis hin zu konstruktiven Anpassungen der Maschinen zur Optimierung sowie der Online-Prozessüberwachung zur Schwachstellendetektion.

Produktgestaltung

Die Herausforderung für eine kreislauforientierte Produktentwicklung sind unter anderem fehlende ökonomische Perspektiven für alle Prozessbeteiligten entlang der Wertschöpfungskette, ebenso wie mangelnde Abstimmungen zwischen den einzelnen Prozessschritten. Für zukünftige Produkte werden Design4Recycling Konzepte erarbeitet, die eine geschlossene Kreislaufwirtschaft erleichtern. Das Atelier begleitet den Weg textiler Sekundärrohstoffe zurück in hochwertige Produkte.

Workshop

Im Workshop findet Lehre, Lernen und Arbeiten rund um den Megatrend Textilrecycling statt. Spätestens ab 2025 muss Recyclingfähigkeit mitgedacht werden, ob im Design, in der Ausbildung oder im Studium – das (Um)Denken und (Um)Designen in Kreisläufen ist gefragt und wird interdisziplinär vermittelt und eingeübt. In Workshops bieten sich Firmen die Möglichkeit mit den Forschungspartner ihre Produkte auf den Prüfstand zu stellen und neue Konzepte für eine nachhaltige Zukunft zu erarbeiten. Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft werden zudem im InToSpace – Innovate-Together-Workspace – oder im virtuellen Raum für Interessierte aus aller Welt erlebbar.

Das Ziel des Recycling Ateliers Augsburg ist es, einen entscheidenden Beitrag für die Transformation der linearen Wirtschaft zur Kreislaufwirtschaft zu leisten und die Vision vom Textilen Kreislauf Wirklichkeit werden zu lassen.

Die vier Säulen des Ateliers sind:

  • die Entwicklung neuer Produkte und Prozesse für textile Sekundärrohstoffe in der Modellwerkstatt,
  • die Erarbeitung von Konzepten für das vollständige Verwerten von Alttextilien mit bestmöglicher Qualität sowohl durch integriertes und hochwertiges Recycling (Upcycling) als auch kreislauforientiertes Produktdesign (Design 4Recycling),
  • der Brückenschlag zum industriellen Einsatz von Recyclingkonzepten und Geschäftsmodellen und
  • die Aus- und Weiterbildung im Fachgebiet des Recyclings in Form einer Lernfabrik und als Grundlage für die Ausbildung an den Hochschulen.

Gemeinsam sucht das Partnernetzwerk Antworten auf das kaum praktizierte Textilrecycling und den fehlenden Dreiklang von technischer Sinnhaftigkeit (Vermeidung von Downcycling), ökonomischem Nutzen (fehlende Profitabilität) und ökologischer Sinnhaftigkeit (CO2 -Fußabdruck). Wenn diese Balance wieder hergestellt wird, und das fordert die kürzlich vorgelegte EU-Textil-Agenda vehement und nachdrücklich, dann ist mit einer Belebung auch der regionalen und nationalen textilen Wertschöpfungskette zu rechnen.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2022  NOV/DEZ