Camping – unterwegs zu Hause

Die Wiederentdeckung des autarken Reisens

Beitrag von Prof. Dr. Axel Gruner Hochschule München

Parkplatzsuchenden in den Großstädten und aufmerksamen Spaziergängern ist als ersten das seit wenigen Jahren exorbitante Aufkommen von Wohnmobilen aufgefallen. Verborgen blieb ihnen jedoch das derzeit noch zaghafte Wachstum von Stealth Campern – zumeist selbst umgebaute Lieferwagen, denen selbst Zeitgenossen mit einer guten Beobachtungsgabe nicht ansehen, dass sie vor einer mobilen Wohnung stehen.

Aktuelle Camper-Nachfrage

Die Zahl der Neuzulassungen von Wohnmobilen ist im Jahr 2020 um 44,8 % auf rund 78.000 Fahrzeuge in Deutschland gestiegen. Dies bedeutet eine Verdopplung der Reisemobile auf ca. 675.000 Fahrzeuge in Deutschland innerhalb von 10 Jahren. Insbesondere junge Generationen und Personen mit höherem Einkommen zeigen starkes Interesse am Caravaning. Rund 34 % der Kaufinteressierten sind „Millenials“ (Altersgruppe von Mitte 20 bis ca. 40 Jahre); sie verfügen über ein überdurchschnittlich hohes monatliches Haushaltsnettoeinkommen von 3.670 €. Campingbusse und Kastenwägen führen die Neuzulassungen an, befriedigen sie doch die Bedürfnisse nach Alltagstauglichkeit sowie gleichzeitig Komfort, welchen sie zumeist durch ein Aufstell- oder Hochdach gewährleisten. Dieser Boom spiegelt sich auch in den vermehrten Lieferengpässen der Wohnmobilhersteller wider; Wartezeiten für Neufahrzeuge von ein bis zwei Jahren sind derzeit keine Seltenheit. Bei den Wohnwagen fiel das Wachstum geringer aus: 29.148 Neuzulassungen (+ 8,2 %, [1], S. 1f.).

Nicht von der Statistik erfasst werden die unzähligen zum Camper umgebauten Transporter. Diese sind, wie zuvor erwähnt, nicht immer von außen als Campervan identifizierbar. Der Stealth Campervan Trend kommt aus dem USA. Solarmodule, Anschlüsse von Elektrik, Wasserversorgung, als auch der Abwassertank sind so versteckt wie möglich am Fahrzeug angebracht. Wichtig ist, dass sich das Fahrzeug in einem gepflegten Zustand befindet, der nicht auf Offroad oder Camping schließen lässt; zumeist wird auf das Anbringen von Seitenscheiben verzichtet. Ein Magnetschild mit einem Handwerkerservice-Aufdruck oder ähnlichem komplettiert die Tarnung. Stealth Campervans sind ideal für Personen, die sich oft in Städten aufhalten, wenig Platz für das Wohnen beanspruchen und eventuell auch keine Wohnung mehr haben.

Gründe für das extreme Marktwachstum

In Corona-Zeiten erhält die Urlaubsform mit dem Camper zusätzlichen Zulauf, da das individuelle Reisen im autarken Fahrzeug mit eigenen Wohn-, Schlaf-, Kochund Sanitärmöglichkeiten besonders sicher ist. Davon profitiert vor allem die Tourismusbranche in Deutschland, denn viele deutsche Caravaning-Fans verreisen im eigenen Land.

Maßgeblich von Bedeutung für das Interesse jüngerer Nachfrager sind unter anderem innovative Webportale wie camperstyle.de oder beyondcamping.net, in denen über das autarke Reisen informiert und inspiriert wird. Influencer berichten nicht nur unter #Vanlife von Erfahrungen, Ausbau sowie dem Lebensgefühl. Manche von ihnen sind das ganze Jahr in ihrem (selbstausgebauten) Reisemobil unterwegs und teilen regelmäßig ihre Erfahrungen in Blogs, auf Instagram und YouTube, halten Vorträge und organisieren Treffen. Bei näherer Betrachtung kann festgestellt werden, dass die neuen Nomaden von ihrer mobilen Wohnung aus beispielsweise durch Blogs, YouTube, eigene Onlineshops, Programmieraufträge oder auch temporäre Arbeit in den Destinationen ihren Lebensunterhalt verdienen – eine neue Subkultur unter Reisenden ([2], S. 31).

Und auch vor den Campingplatzbetreibern macht der Boom keinen Halt. So berichteten viele Betreiber von überfüllten und weit im Voraus ausgebuchten Campingplätzen. Dieser Ansturm führte mit rund 36 Mio. Übernachtungen im Jahr 2020 zu einem Umsatz von € 648 Mio. für die steuerpflichtigen Campingplätze [3].

Nachhaltigkeit im Fokus

Gleichzeitig werden von der Campingbranche innovative Nachhaltigkeitskonzepte in Bezug auf den Klimaschutz, Abfallvermeidung, selbst erzeugten Strom sowie einer klimafreundlichen Vor-OrtMobilität umgesetzt. Es besteht dabei der Wunsch nach einem weitgehend „unberührten“ Fleckchen Erde, um den Urlaub naturnah zu genießen. ECOCAMPING ist beispielsweise eine Initiative für ökologisches Campen in Europa, die Campingplätze auf ihrem Weg zu mehr Umweltund Naturschutz begleitet [4].

Auch die Erwin Hymer Group geht als Marktführer kontinuierlich neue Wege. Im Juli 2018 wurde das Innovation Camp etabliert, das als feste Institution die Aufgabe hat, eine Plattform für den Innovationsaustausch zwischen allen Marken der Erwin Hymer Group zu sein. Dabei denken alle Beteiligten ganz bewusst außerhalb etablierter Strukturen. Um eine bestimmte Fragestellung zu bearbeiten, treffen sich Spezialisten aus verschiedenen Unternehmensbereichen und entwickeln Lösungen in Kreativitätsworkshops außerhalb ihres normalen Arbeitsalltags. In der „Garage“ können die Camp-Teilnehmer schnell und unkompliziert Konzeptmuster aufbauen, um die Ideen sofort auf Praxistauglichkeit zu überprüfen. Ein wesentliches Merkmal von Innovation Camps ist die Methode des Design Thinking – ein spielerischer, konsequent auf den Nutzer ausgerichteter Ansatz, der neue Lösungen für komplexe Probleme hervorbringen soll. Indem sich die Teammitglieder intensiv mit der Ausgangsfrage beschäftigen, entwickeln sie neue Sichtweisen. Die Personen tauchen tief in den Kontext ein mit der Folge, dass sie zum Beispiel Bedürfnisse von Kunden besser verstehen. So entsteht eine Basis für neue Produktideen und Innovation. Statt logisch-analytisch vorzugehen, spielt die Intuition eine große Rolle.

Bereits vor der Eröffnung des Innovation Camps arbeitete die Erwin Hymer Group mit der Design-Thinking-Methode. Ein Ergebnis war das sogenannte „Push-Out“ – eine neuartige Raumerweiterung durch aufblasbare, isolierende Wände. Auch ein 48/230V Energiesystem mit Schnellladefunktion für deutlich verbesserte Autarkie ist dem Innovation Camp zu verdanken; ebenso der Einsatz von Vakuumpanelen, welche die Isolationseigenschaften verbessern.

Prognose über die weitere Entwicklung des Segments

Die anhaltende weltweite Rohstoffkrise macht sich bereits jetzt in der Campingbranche bemerkbar. So führte der Engpass an Rohstoffen und Chips immer wieder zu notwendigen Produktionsstopps und damit deutlich verlängerten Lieferzeiten. Die langen Wartezeiten sowie die hohen Anschaffungs- und Unterhaltskosten könnten dazu führen, dass Verleiher und Camper-Sharing-Anbieter langfristig profitieren. Camping-Begeisterte, die nicht auf ein eigenes Fahrzeug verzichten wollen, werden aber wohl zukünftig die Verkaufszahlen weiter positiv beeinflussen. So waren bereits im Jahr 2020 knapp die Hälfte der Wohnmobil-Neuzulassungen Kastenwägen und Vans. Da diese Form des Campings aufgrund hoher Flexibilität bei maximaler Individualität vor allem bei kaufkräftigen jüngeren Zielgruppen beliebt ist und durch die neuen Medien gepusht wird, kann davon ausgegangen werden, dass sich dieser Trend in den nächsten Jahren verstärkt, zumal die Hersteller mit individuellen, lebensstilorientierten Angeboten locken.

Quellen

[1] Harrer, B./ Sporer M.: Der Campingplatz- und Reisemobiltourismus als Wirtschaftsfaktor in Deutschland 2019, München 2020

[2] Gruner, A.: Camping – eine Branche im Umbruch in Passport, Magazin der Fakultät für Tourismus, Hochschule München, Ausgabe 2/2021, München 2021, S. 30 – 32

[3] Doll, Frank (2021). St. Tropez am Baggersee: Der Camping-Markt in vier Grafiken. https:// www.wiwo.de/unternehmen/auto/infografik-st-tropez-am-baggersee-der-cam-pingmarkt-in-vier-grafiken/27371840.html

[4] ecocamping.de

Weitere Informationen

adac.de/reise-freizeit/camping-trends www.beyondcamping.net

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 03/2022 MAI/JUN