Eine Kleinstadt auf dem Wasser

Kreuzfahrttourismus

Interview mit Prof. Dr. Peter Greischel, Fakultät für Tourismus an der Hochschule München

Trotz des coronabedingten Einbruchs bleibt der Tourismus in Deutschland ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Wir sprachen mit Prof. Dr. Peter Greischel von der Fakultät für Tourismus an der Hochschule München über zukünftige Entwicklungen und die wachsende Bedeutung des Kreuzfahrtsektors.

TiB: Herr Prof. Greischel, angesichts der Missstände in vielen Urlaubs-Hot-Spots wünschen sich viele Menschen einen nachhaltigen Tourismus für die Zukunft. Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist die "Nachhaltige Destinationsentwicklung". Was ist darunter zu verstehen und wie sieht der Weg dahin aus?

Peter Greischel: Missstand ist natürlich ein weit gefasster Begriff, und er wird sehr individuell interpretiert: Das kann angesichts vieler Millionen Hungernder auf der Welt eine ausgeprägte Form des Luxustourismus, ein mit Schweröl betriebenes Kreuzfahrtschiff, oder die schrittweise Zerstörung einer Landeskultur durch Massentourismus sein. Deshalb ist die Entscheidung darüber, was ein Missstand und was ethisch vertretbar ist, schwierig und ich möchte sie nicht treffen

TiB: Bleiben wir beim nachhaltigen Tourismus.

Greischel: Hier würde ich mit dem Thema Transporte beginnen. Man kann Urlaub zu Hause machen, dann brauchen wir keinen Transport, aber die meisten Menschen möchten in ihrem Urlaub dann doch in eine interessante Destination fahren oder fliegen. Wenn Personenbeförderung nötig ist, sollte sie möglichst ressourcenschonend organisiert werden. Das geht für die landgebundenen Transporte besser, ist aber zum Beispiel nicht realisierbar, wenn es nach Übersee geht.

Nachhaltig bedeutet die Vermeidung von Verschmutzungen jedweder Art. Daran wird gearbeitet, bei Airlines, an Flughäfen, bei Reedereien und Werften, und bei Bus- und Automobilherstellern etwa im Bereich der E-Mobilität.

Wenn das Urlaubsziel erreicht ist, geht es um den Aufenthalt vor Ort. Klimaneutrale Hotels oder gar ganze Destinationen rücken immer stärker in den Fokus, elektrisch angetriebene Busse werden verstärkt eingesetzt. Oft wird auch an kleinen Lösungen und Detailverbesserungen gearbeitet.

Respektvolles Verhalten in Urlaubsländern gehört ebenfalls zur Nachhaltigkeit. Die natürliche Umwelt wird bedroht, wenn etwa „Hotspots“ in intakter Natur beispielsweise auf Instagram gezeigt werden, die Tausende motivieren, eben dieses Stück Natur zu besuchen – und damit in Teilen zu zerstören.

Das Ziel der Entwicklung eines verantwortlichen, nachhaltigen und universell zugänglichen Tourismus verfolgt die UN World Tourism Organisation (UNWTO) – eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Sie vergibt mit der Auszeichnung „Best Tourism Villages“ ein Tourismussigel an Gemeinden mit weniger als 15.000 Einwohnern. Es wurde 2021 an das Kaunertal in Tirol verliehen. In weltweit 44 Vorzeigeregionen geht es darum, kulturelle und natürliche Ressourcen zu erhalten und damit touristische Produkte und Lebensstile konsequent nachhaltig zu gestalten, und damit zum Haupttreiber der weiteren Entwicklung zu machen.

TiB: Es gibt Beispiele von Besucherhöchstgrenzen durch Zufahrtsbeschränkungen, z. B. im Grand Canyon. Wäre das auch für die Alpentäler ein Weg?

Greischel: Das könnte für hochfrequentierte Zeiten durchaus ein Modell sein. Die Notwendigkeit wurde uns unter Corona ja schon vorgeführt, denken Sie an den Walchensee. Der war an den sonnigen Sommerwochenenden so überfüllt, dass weit und breit kein Parkplatz mehr gefunden wurde. Einwohner forderten die Schließung der Zufahrtsstrassen. Auf der anderen Seite waren es Familien – vornehmlich aus München – die schon monatelang unter den Coronabeschränkungen in beengten Stadtwohnungen gelitten hatten. Ähnliches konnte man in den Wintermonaten in vergleichsweise stadtnahen Skigebieten bei den Tourengängern beobachten. Hier waren Zugangswege und Parkmöglichkeiten nur begrenzt vorhanden. Eine Zufahrtsbeschränkung ist ein zweischneidiges Schwert, denn die Urlaubsregionen sind auch froh um jeden Touristen, der kommt, weil er Umsatz bringt, und man möchte die Menschen natürlich nicht vergraulen.

TiB: Auch Kreuzfahrtschiffe verstärken zweifellos die Probleme des „Overtourismus“. Was können Reiseveranstalter und betroffene Städte tun, um die negativen Auswirkungen zu begrenzen?

Greischel: Nehmen Sie als Beispiel Dubrovnik. Die Stadt ist so klein, dass sie überproportional von Kreuzfahrttouristen besucht wird. Hier hat der Stadtrat den Beschluss gefasst, dass nur zwei Schiffe am Tag anlegen dürfen. Damit kommen ca. 5000 Kreuzfahrtgäste täglich in die Stadt. Das ist immer noch viel, aber deutlich weniger als in den früheren Jahren. Hier wird versucht, die städtische Kultur zu erhalten und die Überfremdung nicht überhandnehmen zu lassen. Ein Problem ist natürlich auch, dass die Geschäfte und Restaurants meist nur wenig Einnahmen aus dem Kreuzfahrttourismus generieren, da die Kreuzfahrtgäste in der Regel gut gesättigt von Bord gehen. Und wenn dann die Souvenirs nicht regional gefertigt werden, gibt es kaum weitere Wertschöpfung. Reiseveranstalter verfügen hier in der Programmgestaltung über einen Hebel, indem sie lokale Dienstleistungsangebote einkaufen können.

TiB: Und Venedig?

Greischel: Oft wird verkannt, dass von jährlich 30 Mio. Gästen nur 5 % von Kreuzfahrtschiffen kommen. Gefährlich für die Stadt erweisen sich die Schwingungen, erzeugt durch die riesigen Schiffsschrauben. Sie zerstören im Laufe der Zeit die Holzstelzen, die das Fundament Venedigs bilden. Aktuell dürfen die Kreuzfahrer nicht in den Kanal fahren, und mittelfristig ist geplant, dass die großen Schiffe nur noch landseitig ankern dürfen.

In Zukunft werden sich gerade im Mittelmeerraum die Einfahrtbeschränkungen für große Schiffe in Häfen sicher häufen.

TiB: Gibt es auch andere Wege?

Greischel: Ja, durchaus. Für kleinere Schiffe, z. B. die MS Deutschland, die bis zu 500 Passagiere haben, wird das sog. "Destination Cruising" angeboten. Hier bleiben die Schiffe über Nacht im Hafen, und die Gäste haben die Möglichkeit, Restaurants, Bars, Theater oder andere Attraktionen an Land zu besuchen. Damit entgehen den Reedereien allerdings erhebliche Einnahmen, weswegen sich dieser Weg nicht in der Breite durchsetzen konnte.

TiB: Im letzten Jahr wurden etliche Kreuzfahrtschiffe verschrottet. Die aktuelle Situation zeichnet ein etwas düsteres Bild der Boom-Branche Kreuzfahrttourismus. Ist das zutreffend?

Greischel: Das sind typische Folgen von Corona, denn die gesamte Kreuzfahrtbranche wurde von einer Woche auf die andere an die Ankerkette gelegt. Selbst die drei großen Reedereien Carnival Cruise Line, Royal Caribbean Cruise Line und die Norwegian Cruise Line waren in dieser Krise existenziell gefährdet. Allein die Carnival Cruise Line verzeichnete im Jahr 2020 einen Verlust von nahezu 9 Mrd. US$.

Die Schiffe verursachen erhebliche Kosten, wenn sie im Hafen liegen – entweder „eingemottet“ oder im Standby-Betrieb (Cold- und Warm-Layup). Die Unternehmen haben dann schnell reagiert und Einsparungen vorgenommen. Die Carnival Cruise Line hatte von ihren 102 Schiffen diejenigen 18 ausgemustert oder verkauft, die am ältesten oder die am wenigsten rentabel zu betreiben waren. Wir haben weltweit ca. 400 Kreuzfahrtschiffe. Zu Beginn der Krise 2020 gab es 129 Neubestellungen von Schiffen, die Werften waren vollgepackt mit Aufträgen. Ein Drittel des Gesamtbestandes sollte neu aufgelegt werden.

Heute gehen viele Marktbeobachter davon aus, dass sich dieser Boom zeitversetzt fortsetzen wird.

TiB: Bei der Kreuzfahrt ging in den letzten Jahrzehnten der Trend zu größeren Schiffen mit immer mehr Passagieren. Wo liegen die Begrenzungen und wodurch werden sie verursacht?

Greischel: Bis heute wird die „Allure of the Seas“ der Royal Carribean Cruise Line als das größte Kreuzfahrtschiff der Welt gesehen. Die bisherigen technischen Grenzen liegen bei ca. 6300 Passagieren und 2.100 Besatzungsmitgliedern, entsprechend der Einwohnerzahl einer Kleinstadt. Grenzen bilden die Manövrierbarkeit in Häfen sowie die Infrastrukturen der meisten Werften. Auch Sicherheitsaspekte und Kosten-/Nutzenüberlegungen fließen ein.

Die Schwierigkeiten des Überschreitens dieser Grenzen erkennt man am Beispiel der „Global Dream“, die in der insolventen MV-Werft in Wismar liegt, und Platz für 9.000 Passagiere bieten soll.

TiB: Wie sieht die Zukunft der Kreuzfahrt in den nächsten Jahrzehnten im Hinblick auf alternative Kraftstoffe z. B. LNG aus?

Greischel: LNG stellt einen Schritt in die richtige Richtung, nicht aber die Lösung dar. Das verflüssigte Erdgas weist erhebliche Nachteile auf, denn es muss in aufwändig hergestellten voluminösen, druckfesten und gut isolierten Tanks mitgeführt werden. Eine starke Einschränkung bildet die Zugänglichkeit zu LNG, also in welchen Häfen bekommen wir die benötigten Mengen. In Bremerhaven z. B. bestehen Tankmöglichkeiten für Schiffe, aber das LNG wird mit LKWs oder Spezialschiffen angeliefert. Im Ostseeraum finden sich viele LNG-Anschlüsse, in Südeuropa gibt es noch sehr wenige.

Einen weiteren Nachteil stellt die geringe Energiedichte dar, die nur 1/4 des Flüssigtreibstoffes beträgt. Neben der geringen Energieeffizienz sehen wir bei LNG noch den Methanschlupf. Methan entweicht durch kleine Undichtigkeiten bereits in der Herstellung, bei der Abfüllung in die Tanks, beim Transport und auch auf dem Schiff. Methan ist dabei 28 mal schädlicher als CO2 . LNG hat durch all diese Nachteile kein Potenzial, um Schweröl effizient zu ersetzen.

Die Problematik gewinnt noch eine andere Dimension, denn neben den 400 Kreuzfahrschiffen gibt es ca. 60.000 kommerziell genutzte Schiffe, deren Antriebe mittel- bis langfristig umgestellt oder ersetzt werden sollten. Die Lebensdauer von durchschnittlich über 25 Jahren der Schiffe deutet einen langen Zeithorizont dafür an.

TiB: Sehen Sie eine echte Alternative?

Greischel: Es dürfte auf Wasserstoff und Brennstoffzellen hinauslaufen. Es gibt heute schon Dual Fuel-Motoren, die man mit verschiedenen Brennstoffen laufen lassen kann. Mit dieser Technologie wird 2022 das erste Schiff fertiggestellt.

TiB: Insbesondere jüngere Leute wünschen sich Urlaub vom Typ „Event & Action“. Wie können diese Erwartungen erfüllt werden?

Greischel: Wenn wir von Zielgruppenorientierung von Destinationen sprechen, z. B. hippe Snowboard-Areale oder JugendClubs in Kroatien, dann ist so eine Ausrichtung aber nicht unbedingt an das Label Nachhaltigkeit geknüpft.

Das wird zu einer strategischen Frage der Region, die sich in allen Bereichen auf die angestrebte Zielgruppe ausrichten muss. Dies ist leicht formuliert und schwer umgesetzt: Generell ist schon der Interessenabgleich aller Stakeholder in einer Urlaubsregion enorm schwierig, ganz besonders, je erfolgreicher diese Region ist.

Das Interview führten Verena Rupprich, Fritz Münzel und Silvia Stettmayer

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2022 März/April