Ski- und Wintertourismus am Beispiel des Tölzer Landes

Versuch eines anderen Blickwinkels angesichts einer aufgeheizten Debatte

Beitrag von Dr. Andreas Wüstefeld Leiter Tölzer Land Tourismus [10]

Das Tölzer Land liegt seit jeher im Spannungsfeld zwischen München und dem Alpenraum. Mit rd. 1,55 Mio. Nächtigungen im Vor-CoronaJahr 2019 zählt es zu den großen Destinationen in Oberbayern mit einer langen Tourismustradition. Zu den rd. 470.000 mindestens einmal übernachtenden Gästen des Jahres 2019 kommen nochmals rd. 7,4 Mio. Tagesgäste vorwiegend aus dem Großraum München sowie insbesondere am Walchensee auch aus dem Raum Innsbruck.

Gerade für die Tagesgäste im Winter, sowohl aus der Region als auch aus dem Großraum München, aber auch bei den Winter-Urlaubsgästen ist das Skigebiet Lenggries-Brauneck im Tölzer Land ein zentrales Ziel: es gehört mit seinen 34 Pistenkilometern und 22 Pisten zwar zu den 10 größten Skigebieten Deutschlands, ist aber im Vergleich zu einigen Skigebieten im unmittelbar benachbarten Tirol wohl eher überschaubar. Gerade dieser Charme in Verbindung mit einigen in jüngster Zeit modernisierten Lift- und Beschneiungsanlagen sowie 16 Einkehrmöglichkeiten – von der gemütlichen Hütte bis zum Panoramarestaurant – ist es, der die große Beliebtheit ausmacht.

Genau hierauf fußt eine leider sehr aufgeheizte Diskussion, welche durch die Folgen der Pandemie, Fernsehbilder von weißen Bändern in brauner Landschaft bei den Olympischen Winterspielen in China und der aktuellen Klimaschutzdebatte befeuert wird. Vieles davon wird zusammenhangslos in einen Topf geworfen, gut gemixt und anschließend medienwirksam bebildert, gleichzeitig aber sachlichinhaltlich stark reduziert präsentiert. Der vorliegende Artikel erhebt keineswegs den Anspruch, diese Situation aufzulösen und allumfassende Lösungsansätze zu präsentieren. Vielmehr sollen einige Denkanstöße ganz bewusst auf der Mikroebene einer Region bzw. eines Skigebiets verbunden mit einem Blick darüber hinaus geliefert werden.

(Winter-)Tourismus im Tölzer Land: nicht nur Wertschöpfung und Arbeitsplätze...

Das Tölzer Land, der Landkreis Bad TölzWolfratshausen, weist u.a. aufgrund seiner räumlichen Nähe zu München und einer mittelständisch-produzierend geprägten Wirtschaftsstruktur bei weitem nicht die Abhängigkeit vom Wirtschaftszweig Tourismus auf wie beispielsweise in Tirol. Und dennoch steht der regionale Tourismus in Vor-Pandemie-Zeiten für 335 Mio. Euro Bruttoumsätze im Jahre 2019, rd. 51 % hiervon resultieren aus Tagesausflügen. Zusammengenommen 4.690 Personen erwirtschaften daraus ein durchschnittliches Primäreinkommen. Ein nicht unwesentlicher Anteil hiervon entfällt auf die wirtschaftliche Betätigung der Bergbahnen im Winterbetrieb. In einer bayernweiten Studie konnte HARRER [1] zeigen, dass aus den gesamten Einkommenswirkungen der 1. und 2. Umsatzstufe bei Bergbahnen bzw. durch die Zusatzeffekte der Bergbahnnutzer aufgrund der direkten Wertschöpfung (1. Umsatzstufe) bei den Bergbahnen sich eine Multiplikatorwirkung von 3,9 ergibt: darin enthalten sind Vorleistungen der Bergbahnen wie beispielsweise für das Handwerk und die Vermarktung ebenso wie die induzierten Zusatzausgaben der Seilbahnnutzer in Gastronomie, Beherbergung, Skischulen, -service und -verleih sowie hierfür notwendige Vorleistungen. Somit gilt es, ein Skigebiet stets als ein mit Ort, Region und zahlreichen kleinen und mittelständischen Leistungsanbietern vernetztes System zu betrachten.

...sondern auch Sportförderung und Lebensqualität

Es ist jedoch nicht nur der Tourismus, dem die Wintersport-Infrastruktur dient, sondern in besonderem Maße auch der Bereich der Kinder- und Jugendförderung. Leider wird dieser Blickwinkel jedoch meist vernachlässigt, wenn Skigebiete medial desöfteren auf die Aspekte Energieverschwendung, Umweltverschmutzung und Klimaschädlinge reduziert werden. Dabei zeigte indes gerade die Pandemie auf, wie dringend Sport und Bewegung insbesondere für Kinder und Jugendliche speziell in der dunklen Jahreszeit vonnöten sind. Diese Bevölkerungsgruppe litt unter dem Lockdown des Winters 2020/21 besonders, nicht zuletzt da neben den Sportstätten auch Skigebiete geschlossen waren, und der Winter ohnehin eine bewegungs- und sportangebotsärmere Zeit ist – mit gravierenden Folgen für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen bis hin zu depressiven Erkrankungen [2], aber auch in Bezug auf den (Winter-)Vereinssport mit der Folge eines erheblichen Rückgangs an Aktiven, Trainern und Vereinsmitgliedern [3].

Besucherlenkende Aspekte eines Skigebiets

Der Pandemiewinter 2020/21 zeigte außerdem deutlich, welch immens besucherlenkende Wirkung Skigebiete wie etwa das Brauneck im Tölzer Land aufweisen: selbst in einem überschaubaren Skigebiet wie dem Brauneck hält sich an einem schönen Wochenendtag im Hochwinter die Bevölkerungsanzahl einer Kleinstadt auf, die 2019 errichtete Schrödelsteinbahn – eine kuppelbare 6er-Sesselbahn – hat eine Förderleistung von 2.400 Personen pro Stunde. Nicht zuletzt deshalb erkennen mittlerweile auch Vertreter des Naturschutzes diese erhebliche besucherlenkende Wirkung im Winter, auch angesichts des Ausflugsdrucks der stets wachsenden Metropolregion München und der wenig wünschenswerten Alternative, dass sich erhebliche Teile dieser Personengruppe diffus und auf eigene Faust im Berggebiet verteilen.

Zu guter Letzt: einige Betrachtungen zum Umwelt- und Klimaschutz sowie Wasser- und Energieverbrauch

Rund ein Viertel der Fläche des Tölzer Landes – des Landkreises Bad TölzWolfratshausen – sind Natur- und Landschaftsschutzgebiete, und dies vorwiegend im südlichen, alpinen Teil des Tölzer Landes sowie entlang der Isar. Nicht zuletzt deshalb konzentriert sich die alpine Ski-Infrastruktur im Wesentlichen auf einen einzelnen „Wirtschaftsberg“, das Brauneck. Genehmigungsverfahren für Ersatzinfrastuktur – Erweiterungs- oder Zusatzinfrastruktur wird ohnehin nicht in Erwägung gezogen – wie etwa die bereits erwähnte, 2019 in Betrieb genommene Schrödelsteinbahn, oder auch für maschinelle Beschneiung gehören zu den wohl strengsten behördlichen Prüfungen in Europa. Und dennoch steht das Skigebiet Brauneck – ähnlich wie alle bayerischen Skigebiete – unter einem enormen Rechtfertigungsdruck, dem sich beispielsweise ähnlich energieintensive Gewerbebetriebe in den Tallagen nicht einmal annähernd so stark stellen müssen. Hier wäre eine Gleichbehandlung in der Betrachtung dringend vonnöten, vor allem basierend auf einer differenzierten Sichtweise, die jedoch sowohl im medialen als auch im politischen Diskurs kaum erfolgt.

So stellte KRÖLL [4] am Beispiel des Skigebiets Kanzelwand / Fellhorn im bayerischen Allgäu – von der Größenordnung durchaus mit dem Skigebiet Brauneck vergleichbar – fest, dass es 16 kWh an Energiemenge bedarf, um einem Wintersportler dort einen Skitag zu ermöglichen. Mit dieser Energiemenge kommt ein Mittelklasse-Pkw mit einem Benzinverbrauch von 7 Litern pro 100 km 22 km weit. Ein bezüglich seines Images wesentlich „unproblematischerer“ Wellness-Aufenthalt hingegen ist deutlich energieintensiver: ein durchschnittlicher Hallenbad-Besuch mit Sauna schlägt für jeden Gast mit einer Energiemenge zwischen 20 und 35 kWh zu Buche. Ergänzend hierzu ist zu berücksichtigen, dass alle bayerischen Skigebiete sehr gut mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar sind, das Skigebiet Lenggries-Brauneck beispielsweise mit der Bayerischen Regiobahn sogar zeitweise im Halbstundentakt mit einer Fahrzeit von etwas mehr als einer Stunde ab München-Hauptbahnhof. Entsprechende Kombi-Fahrkarten, die Skipass und Bahnfahrt inkludieren, werden seit vielen Jahren erfolgreich aufgelegt.

Im Skigebiet Kanzelwand / Fellhorn entfallen 31 % der pro Wintersportler und Skitag benötigten Energiemenge auf die maschinelle Beschneiung sowie ebenfalls 31 % auf die Pistenpräparierung. Das verbleibende Drittel teilen sich die Bergbahnen (18 %) sowie die Gastronomie, Instandhaltung, Verwaltung und Beheizung. Bei tiefergehender Betrachtungsweise ist als durchaus interessanter Effekt festzustellen, dass Maschinenschnee leichter und damit energiesparender bearbeitbar ist als Naturschnee, der häufiger gewalzt werden muss. Am Beispiel des Südtiroler Skigebiets Kronplatz konnte paradoxerweise aufgezeigt werden, dass aufgrund der daraus resultierenden, in Summe niedrigeren Energiekosten der Skibetrieb in schneearmen Wintern rentabler ist als in schneereichen [5].

Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus verwunderlich, welch großer Zeithorizont den Wirtschaftstreibenden des Wintersports für deren Betrachtungen abverlangt wird. So postuliert der Deutsche Alpenverein, dass „langfristig (innerhalb von 25 bis 65 Jahren) […] der Anteil der schneesicheren Skigebiete auch bei massivem Ausbau der Beschneiung stark ab[sinkt]. Wegen großer Prognose-Unsicherheiten schwanken die Schätzungen zwischen unter fünf und rund 40 Prozent. Vermutlich werden sich die schneesicheren Gebiete trotz Beschneiung auf Fell- und Nebelhorn sowie die Zugspitze reduzieren [6].“

Zum einen erscheint die große Prognoseunsicherheit für seriöse wirtschaftliche Planungen nur schwer akzeptabel. Zum anderen wird hier eine erhebliche Ungleichbehandlung offenbar: welcher Betrieb beispielsweise des produzierenden Gewerbes vermag mit Blick auf die nächsten 25 bis 65 Jahre zu sagen, ob sein Produkt bis dahin noch am Markt bestehen kann? Hier setzt ein zentraler Aspekt an, der nachgerade die Leserinnen und Leser der vorliegenden Fachzeitschrift bei ihrer Ehre packen müsste, nämlich der Erfindergeist und die Innovationsfähigkeit der Ingenieure. Denn schon die Überschrift des oben erwähnten Presseartikels des DAV aus dem Jahre 2013, wonach „die Grenzen der Beschneiung […] bald erreicht“ seien – und dies wohlweißlich schon vor fast einem Jahrzehnt – spricht der Branche jegliche Innovationsfähigkeit ab. Denn auch die Grenzen eines Produkts des produzierenden Gewerbes sind innerhalb eines gewissen Zeitraums erreicht, wenn dieses nicht zuletzt angesichts hoher Lohn- und Produktionskosten am Standort Deutschland ständig einem Innovations- und Weiterentwicklungsprozess unterliegt. Solche Prozesse gibt es im Bereich des Ski- und Wintersports sehr wohl ebenfalls, hierfür sorgen hochspezialisierte Unternehmen insbesondere im deutschsprachigen Raum einschließlich Südtirol: die Pisten werden mittels GPS vermessen [7], die daraus resultierenden Geländemodelle ermöglichen den Pistenraupen einen optimalen Anpressdruck, demzufolge sinkt die benötigte Schneemenge – diese Lösung ist übrigens auch in Teilen des Skigebiets Brauneck im Einsatz. In Verbindung mit jahrelangen Messreihen und daraus resultierenden Optimierungen ließen sich damit am Beispiel des Südtiroler Skigebiets Carezza die Stromkosten – welche ja eine Funktion des Energieverbrauchs sind und ergänzend zu berücksichtigen ist, dass die Stromkosten tendenziell steigen – innerhalb von sechs Jahren um 20 % senken. Die Weiterentwicklung von Modellierungen zur Verbesserung der Effizienz maschineller Beschneiung ist zentraler Gegenstand des EU-Projekts „ProSnow“ [8]. Aber auch weitere technische Innovationen wie beispielsweise Snowfarming, also die Übersommerung von Schnee, oder Schneelanzen der neuesten Generation bieten ein erhebliches Energieeinsparungspotential: eine solche Schneelanze verbraucht 90 % weniger Energie als bisherige Lanzen und damit noch in etwa so viel wie eine Geschirrspülmaschine [9]. Forschungsvorhaben beschäftigen sich ferner mit „künstlichen Wolken“ – wohlgemerkt am Boden – die mit einem Bruchteil des jetzigen Energie- und WasseraufwandesNaturschnee identisch nachbilden, sowie mit Nullenergie-Schneelanzen, welche die benötigte Energie vollständig aus der Umgebung beziehen.

Genau solche Innovationen sind es, die durchaus optimistisch stimmen dürfen: denn das energiesparendste und damit letztendlich klimaschonendste Skigebiet ist jenes mit einer kurzen Wegstrecke vom Wohnort des Skifahrers. Genau solche Skigebiete wie etwa das Brauneck im Tölzer Land sowohl für unsere Gäste als auch unsere Einheimischen – nicht zuletzt auch für das Vereinsleben sowie die Kinder und Jugendlichen – zu stärken, wäre daher eine auch langfristig lohnende Zielsetzung.

 

Anmerkungen

[1] Harrer B. (2013): Wirtschaftliche Effekte durch Seilbahnen im Winter in Bayern. DWIF (Hrsg.). München.

[2] Frankfurter Allgemeine Zeitung (19.01.2022): Sportverbot erhöht Depressionsrate unter Kindern. URL: www. faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/coronasportverbot-erhoeht-depressionsrate-unter-kindern-17737829.html

[3] Deutschlandfunk (13.03.2021): CoronaLockdown - Wintersport droht langfristiger Schaden. URL: https://www.deutschlandfunk.de/corona-lockdown-wintersportdroht-langfristiger-schaden-100.html

[4] Kröll A. (2014): Energie am Berg. DSV Beirat für Umwelt und Skisportentwicklung. Zitiert nach: Roth R.: WintersportDeutschland. Vortrag im Rahmen der Tagung „Dein Winter. Dein Sport. Summit“. 19./20.11.2015. Folie 30

[5] Dauer T. (2018): Schnee von morgen. In: GEO Nr. 12/2018. S. 106f

[6] Deutscher Alpenverein e.V. (2013): DAV stellt Studie zur Schneesicherheit bayerischer Skigebiete vor. Die Grenzen der Beschneiung sind bald erreicht. Pressemitteilung vom 18.04.2013. München. URL: www.alpenverein.de/chameleon/ public/bee0f40c-131e-5bb5-fd7c-0de6feef3459/Beschneiungsstudie-Pressemitteilung_21655.pdf

[7] Dauer T. (2018): Schnee von morgen. In: GEO Nr. 12/2018. S. 111

[8] weitere Informationen hierzu sind abrufbar unter URL: http://prosnow.org/

[9] Eschberger T. (2019): Die Wahrheit hinter Schneekanonen. In: LEAD Innovation Management GmbH. LEAD Innovation Blog. URL: www.lead-innovation.com blog/die-wahrheit-hinter-schneekanonen

[10] Kontakt: Dr. Andreas Wüstefeld andreas.wuestefeld@toelzer-land.de www.toelzer-land.de

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 03/2022 MAI/JUN