Vom Fremdenverkehrsschreck zur Touristenattraktion

Das Walchenseekraftwerk

Beitrag von Dr. Sebastian Kasper Deutsches Museum München

Wer auf der A95 von München nach Garmisch-Partenkirchen unterwegs ist, wird mit einem großen braunen Schild am Straßenrand auf eines der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten der Region hingewiesen, dem Speicherkraftwerk am oberbayerischen Walchensee. Das von 1918 bis 1924 erbaute Kraftwerk gilt heute als Wiege der industriellen Stromerzeugung in Bayern. Nicht zuletzt aufgrund des guten Rufs der Wasserkraft als „Ökostrom“ ist es mittlerweile fester Bestandteil des Images der Region und ein echter Besuchermagnet. Das war aber nicht schon immer so.

Vielfältige Proteste gegen das Kraftwerk

Als die Pläne für das Bauvorhaben zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt wurden, wurden sie vor allem vor Ort im Isarwinkel, aber auch im Münchner Bürgertum von vielen abgelehnt. Es gab öffentliche Proteste und allerlei Publikationen gegen das Vorhaben und so manche bedeutende Persönlichkeit versuchte seine persönlichen Beziehungen auszunutzen, um das Projekt zu stoppen. Dabei waren die Argumente gegen den Bau vielfältig. Zum Beispiel sah die Heimatschutzbewegung – wenn man so will, der konservative Vorläufer der Umweltbewegung – aus einem romantisierenden Naturverständnis heraus das „bayerische Vaterland“ recht allgemein durch „Fortschritt und Technik“ bedroht [1]. Andere Akteure hatten sehr konkrete wirtschaftliche Ängste, so etwa auch der Bürgermeister der nahe gelegenen Gemeinde Bad Tölz: „Wenn diese Kraftgewinnung dem ganzen Lande den grossen Nutzen bringen soll, den viele erhoffen, so wird von uns ein bedeutendes Opfer gefordert werden müssen. […] Das Flössereigewerbe und somit der Verdienst einer Reihe von Gemeinden würde hierdurch in Frage gestellt werden. Mühlen kleinerer und grösserer Art müssten ihren Betrieb verringern eventuell ganz einstellen, die blühende Holzindustrie unseres Isarwinkels müsste darunter leiden. Am schwersten würde hierdurch unserer Stadt betroffen werden, die sich mit schweren Opfern nunmehr einen Platz in der Reihe der Sommerfrischorte und besuchteren Heilbädern gesichert hatte“ [2].

Der Tourismus als zentrales Argument

Während die Flößerei schon vor Baubeginn durch die Konkurrenz der Bahn ihre wirtschaftliche Bedeutung fast gänzlich eingebüßt hatte und Mühlen oft genug selbst elektrifiziert wurden, blieben die Bedenken um den Tourismus lange Zeit ein Hauptargument gegen das Kraftwerksprojekt. Die Zeitschrift „Bayerland“ gab dementsprechend 1921 die Stimmung der Projektgegner wie folgt wieder: „Bayern sei im Begriff, die Henne, die goldene Eier lege, in unbedachtsamer Weise zu schlachten und den Fremdenverkehr, an dem weite Kreise ihr Brot verdienen, das Wasser abzugraben, ohne entsprechenden Gegenwert zu schaffen. Der Walchensee mit dem Isarwinkel und der Jachenau sollten leichtfertig der Vernichtung preisgegeben werden“ [3].

Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Kapazität des Walchenseekraftwerks durch die Rißbach-Überleitung ausgebaut wurde, kamen diese Ängste wieder auf. Auch heute noch gibt es Diskussionen um den Weiterbetrieb des Kraftwerks in der jetzigen Form. Inhalt der Kritik ist aber nicht mehr die Auswirkung auf den Tourismus, sondern vor allem die Forderungen nach einem besseren Schutz für die Flora und Fauna der umgeleiteten Gebirgsflüsse. Dass die Debatte um die Verträglichkeit von Kraftwerkanlagen für den Tourismus dennoch weiterhin hoch aktuell ist, bezeugt nicht zuletzt die Ängste des oberbayerischen Tourismusverbands, der erst kürzlich befürchtete, dass der Tourismusstandort Bayern „durch den unbedachten Ausbau der Windkraftanlagen schaden“ nehmen könnte [4].

Quellen

[1] Seidl, Gabriel: Isar und Walchensee, in: Heimatschutz 1908, H. 4 -6, S. 49-51, 49 f.

[2] Stollreither, Alfons: Eingabe des Stadtmagistrats Bad Tölz, in: Denkschrift zu Walchenseeprojekt II, München 1909, S. 11-13, hier 11.

[3] Freytag, Theodor/ Dreyer, Hans: Das Walchenseewerk, in: Das Bayerland 1921, H. 7, S. 97-111, 98.

[4] Köpf, Mathias u.a.: Eine Frage der Perspektive, in: Süddeutsche Zeitung. Ausgabe München vom 22.01.2022, S. R9.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 03/2022 MAI/JUN