Kann Bitcoin ein dezentrales Zahlungssystem sein?

Blockchain-Technologie

Beitrag von Florian Drewes, KI decentralized GmbH

Haben Sie schon einmal von Bitcoin gehört? Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie hierauf mit „nein” antworten, ist mit den Jahren immer weiter gesunken. Und das spricht bereits Bände für die Fragestellung: Kann Bitcoin als ein dezentrales Zahlungsmittel funktionieren? Die Antwort hängt vom Standpunkt ab.

Nachdem Bitcoin anfänglich eine gewisse Proof-of-Concept-Phase durchlief, verschob sich die Narrative dieser Technologie in Richtung günstiges Zahlungsmittel, vorzugsweise für das Darknet. Als im Jahr 2017 der Preis eines Bitcoins den einer Feinunze Gold überschritt, erhärtete sich eine weitere Interpretation, nämlich die des dezentralen Goldes. Wirtschaftsökonom Saifaden Ammous veröffentlichte daraufhin 2018 sein Buch „The Bitcoin Standard”, in dem er einer breiten Masse eine erste ordentliche Abhandlung zum Thema Geld und Bitcoin anbietet.

Aber ist es nun digitales Gold, gar Geld oder ein Zahlungssystem?

Knoten im Netzwerk, welche am Prozess der Blockformierung teilnehmen, werden Miner genannt (Schürfer oder Bergleute). Findet ein Miner für einen Block einen gültigen Hash, so sendet er den Block an das Netzwerk und erhält neu geschöpfte Bitcoin. Dieser als Proof-of-Work (engl. Beweis durch Arbeit) bezeichnete Mechanismus ordnet Bitcoin als ein digitales Gut ein, welches durch Energieverbrauch mit der physikalischen Welt gekoppelt ist. Es ist das erste digitale Gut, welches diese Eigenschaft hat und dadurch nicht beliebig verändert werden kann. Denken Sie an andere digitale Güter und wie einfach es ist, diese zu vervielfältigen, bspw. PDF oder MP3. Bitcoin-Transaktionen- und Blöcke können auch über Radiowellen und gar Satelliten im Weltall ausgetauscht werden. (Quelle: blockstream.com/satellite/). Bitcoin liefert damit bereits jetzt den Grundstein ein interplanetares System zu werden.

Wenn Bitcoin ein digitales Gut ist, ist es dann ein digitales Zahlungsmittel?

Dazu schauen wir uns eine Interpretation von Geld an: Geld als Lösung des TauschProblems. Alice möchte ihr Haus verkaufen und nach Italien auswandern. Bob produziert Kugelschreiber und möchte eine Millionen Einheiten tauschen. Es ist unwahrscheinlich, dass Alice und Bob direkt in ein Tauschgeschäft kommen. Die Lösung ist ein Tauschmittel mit einer guten Wiederverkaufbarkeit am Markt. Finden Alice und Bob also ein Wirtschaftsgut, welches Sie wiederum gut verkaufen können, so kann Bob seine Kugelschreiber gegen jenes Gut am Markt eintauschen und dies dann wiederum Alice für ihr Haus bieten. Wird dieses Wirtschaftsgut sogar in Italien akzeptiert, so wird Alice dem Tausch sicherlich nicht abgeneigt sein. Was hier passiert ist? Ein Gut wurde nur zum Zwecke des Tausches von anderen Gütern eingesetzt. Bildet sich ein Standard-Gut für diesen Zweck, so nennen wir dieses Geld. Geld kann also beliebig sein, je nachdem wie gut die Wiederverkaufbarkeit am Markt ist. So lassen sich exotische Beispiele von Geld erklären, wie etwa Zigaretten für Gefängnisinsassen.

Als Menschheit über die Jahrtausende haben wir eine Vielzahl an Tauschmitteln ausprobiert: Striche auf dem Kerbholz, Nutztiere, Salz im alten Rom, Kupfer, Silber und Gold. Jedes dieser Formen von Geld erfüllt einige oder mehrere Anforderungen besser oder schlechter. Das sind Anforderungen wie: Wiederverkaufbarkeit am Markt, Teilbarkeit für kleinere Transaktionen, Transportierbarkeit über geografischen Raum und schlussendlich Haltbarkeit über die Zeit.

Ein Wettkampf über die Jahrhunderte der Tauschmittel führte dazu, dass die Menschheit sich zum Ende des 19. Jahrhunderts global auf ein gemeinsames Tauschmittel geeinigt hat: Gold. So waren vor 1914 die Deutsche Mark, der US-Dollar, der französische Franc und viele andere Währungen bloß eine Umschreibung für eine gewisse Menge Gold. Der Wechselkurs war global eindeutig festgelegt und alle Marktteilnehmer konnten ungehindert miteinander Tauschen. Noch heute werden bei Gebäudeversicherungen die Immobilienwerte auf den Stand von 1914 zurückgerechnet.

Bitcoin als Kritik an das bestehende System Fiat

Der Grundgedanke eines einheitlichen Geldes wurde mit der Einfuhr von Zentralbank- gesteuertem Fiat-Geld aufgeweicht (lat. fiat = „Es sei getan! Es geschehe! Es werde“, gemeint ist ein Objekt ohne inneren Wert, das sich zum Tauschhandel eignet). Dies zog einiges an Komplikationen mit sich. Zunächst erfolgte die Aufhebung der Goldbindung in der Zeit des Ersten Weltkrieges, wo künstliche Inflation als ein Mittel der Kriegsfinanzierung ohne direkte Besteuerung genutzt wurde. Eine weitere Aussetzung des Standards folgte zu Zeiten des 2. Weltkrieges. Die Rückkehr zum vollen Gold-Standard gelang schlicht nicht mehr und eine anschließende Einigung auf die institutionelle Tauschbarkeit alleinig vom US-Dollar zu Gold sollte Abhilfe schaffen. 1971 wurde dann diese letzte Tauschbarkeit des USDollars in Gold „temporär” außer Kraft gesetzt und dieses gilt bis heute.

 

Die Grund-Kritik am derzeitigen System ist also, dass man einer zentralen Gruppe anvertraut, von dem mächtigen Werkzeug der Geldproduktion sinnvoll Gebrauch zu machen. Nicht umsonst beschreibt US Politiker und Präsidentschaftskandidat Ron Paul: „It is no coincidence that the century of total war coincided with the century of central banking.”(Quelle: www. goodreads.com/quotes/298476-it-is-nocoincidence-that-the-century-of-total-war, oder: http://easyurl.net/b57d7).

Eine Vielzahl verschiedener Phänomene in unserer Gesellschaft lässt sich auf dieses Schlüsselereignis in 1971 zurückführen: Die aufklaffende Schere zwischen gesteigerter Produktivität und relativen Einkommen, ein abflachendes reales mittleres Familieneinkommen, uvm. (Quelle: https://wtfhappenedin1971.com/).

Die Unmöglichkeit Geld zentral zu planen und „fair“ zu verteilen beschreibt der Cantillon-Effekt: neues Geld ist besonders für diejenigen effektiv, die es zuerst erhalten. Denn jene genießen das Preisniveau vor der Einfuhr des neuen Geldes und können sich Güter und Dienstleistungen erwerben, welche Sie ohne jenes neue Geld nicht hätten erwerben können. Dies steigert das allgemeine Preisniveau. Wer zuletzt das neue Geld in den Händen hält sieht sich einem bereits angepassten Niveau ausgesetzt.

Plan B(itcoin)

Fast 100 Jahre nach Aufweichen des Goldstandards und einiger beachtlicher Wirtschaftskrisen beschreibt ein Autor namens Satoshi Nakamoto im Jahre 2008 ein Zahlungssystem, welches ohne zentralen Koordinator auskommt: Bitcoin. Kein Miner kann elektrische Energie aus dem Nichts erzeugen und diese thermodynamische Absicherung sorgt dafür, dass niemand Bitcoin produzieren kann, ohne nicht selber substantiell Kosten zu haben.

Die gesamte „Geldpolitik“ von Bitcoin ist von Block 1 an für alle Teilnehmer transparent und fest. Es gibt keine Überraschungen oder spontane Überproduktion, um einige wenige Marktteilnehmer auf Kosten aller Marktteilnehmer zu „retten“.

 

Zurück zu der Frage des Zahlungssystems. Eine Antwort ist ja und nein zugleich. Genau wie sich Gold seinen Rang als globales Zahlungsmittel über die Jahrhunderte erarbeiten musste, so muss es Bitcoin auch. Bitcoin ist nicht an den USDollar oder Euro geknüpft. Es kann Ihnen also niemand sagen, was ein Bitcoin wert ist. Der Wert ergibt sich über die subjektive Einschätzung einer Vielzahl aus Marktteilnehmern, welche über Angebot und Nachfrage einen Handelspreis zum US-Dollar finden. Bitcoin ist seit über 10 Jahren dabei sich seinen Ruf als globales, digitales, zensurfreies und nicht zentral gesteuertes Tauschmittel zu etablieren.

Immer mehr institutionelle Marktteilnehmer greifen den Bitcoin als eine Form der Anlage auf, was wiederum seine Wiederverkaufbarkeit und Marktverfügbarkeit anhebt. Erst kürzlich hat das am NASDAQ dotierte Unternehmen MicroStategy einen Kauf von über 21.000 Bitcoin bekannt gegeben (Gegenwert etwa 250 Millionen USD, Quelle: https:// fortune.com/2020/08/11/buying-bitcoin-microstrategy-cryptocurrenc/ oder: easyurl.net/f569d). Sie bezeichnen Bitcoin als einen Schutz gegen den Werteverfall ihrer Bargeldreserven. Eine Rolle, welche klassischerweise Gold übernimmt. Der in New York ansässige Bitcoin-Verwalter Grayscale Investments bietet seit 2013 institutionellen Anlegern in den US einen Zugang zu Bitcoin. Erst kürzlich kaufte alleine dieser Teilnehmer mehr Bitcoin vom Markt als die Miner in der Lage waren zu produzieren (Quelle: news.bitcoin.com/grayscalebitcoin-trust-buys-1-5-times-total-btcmined/ oder: easyurl.net/fe516).

Fragen Sie die nigerianischen Händler, welche Bitcoin nutzen, um den Handel mit ihren chinesischen Partnern effektiv betreiben zu können (Quelle: https:// www.coindesk.com/nigeria-using-bitcointrade-with-china), so werden diese Ihnen ein „Ja – auf jeden Fall!“ antworten. Fragen Sie Großanleger in den USA, Europa und Asien, werden Sie immer öfter ein „Ich denke schon“ hören. Aber fragen Sie Vertreter der europäischen Zentralbank, so werden Sie ein klares „Nein – der EURO ist einziges Zahlungsmittel (in Europa)“ erhalten. Es hängt also stark von der Perspektive eines jeden Einzelnen ab, wie Bitcoin eingeordnet wird. Spätestens wenn der Handel zwischen Mars und der Erde mit Bitcoin abgewickelt wird, lautet die Antwort dann „Klar – was denn sonst?“.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2021 November/Dezember