Mobiles Bezahlen weltweit

Regionale Besonderheiten und zukünftige Entwicklungen

Beitrag von Joachim Sokol

Der Siegeszug der Mobilkommunikation hat nicht nur unsere täglichen Kommunikationsgewohnheiten verändert, sondern auch unser soziales Verhalten und die Geschäftswelt. Die Möglichkeit, mobil zu bezahlen ist nur in Europa eine neue Entwicklung, insbesondere Schwellenländer und viele afrikanische Staaten sind hier Jahre voraus. Rein statistisch gesehen besitzen heute 5,19 Milliarden Menschen (Stand Jan. 2020) ein Mobile Phone, Tendenz weiterhin steigend. Dies entspricht rein rechnerisch 67% der Weltbevölkerung, berücksichtig aber nicht die ungleiche Verteilung in einzelnen Ländern, wie z. B. von 41 Geräten auf hundert Einwohner in Angola gegenüber 360 in Macao. Gibt es aber neben der ungleichen Verteilung auch kulturelle Unterschiede in der Nutzung von Mobilkommunikation und kann das mobile Internet eine Rolle bei der Bewältigung globaler Probleme spielen?

Afrika: Neue Ideen durch gesellschaftliche Zwänge

Heute hat Afrika prozentual den am schnellsten wachsenden Mobilfunkmarkt der Welt. Dahinter stehen aber als Treiber nicht Tarifmodelle oder ein wachsender Wohlstand. Vielmehr schließt die mobile Kommunikation Lücken, die sich gerade aus der besonderen Rolle der Entwicklungsländer in Afrika ergeben haben. Eine bemerkenswerte innovative Verkettung von Mobilfunk, Kommunikation, Mikroökonomie, und Bankgeschäften hat sich dort rasant etabliert. Insbesondere mit Mobile Payment übernimmt Afrika eine Vorreiterrolle. In Ostafrika ist durch die Einführung von M-PESA durch das kenianische Mobilfunkunternehmen Safaricom in Kooperation mit Vodafone im Jahre 2007 der Markt für Finanzdienstleistungen innerhalb weniger Jahren regelrecht explodiert. Mittlerweile nutzen 41,5 Millionen Kunden in Afrika das System zum Bezahlen, für Bargeldtransfer, für Kredite, Lohnempfang, das tägliche Einkaufen, Taxifahrten, Bezahlung von Schulgeld und alle anderen Finanzgeschäfte. Was sind die Gründe? Erstens, die Funktionsfähigkeit auf alten Geräten ohne smarte Funktionen, da sich viele Afrikaner kein teures Smartphone leisten können. Zweitens haben In Kenia nur rund 40 Prozent der Bevölkerung ein Bankkonto und flächendeckende Bankfilialnetze existieren nicht. Drittens ist bei großen Entfernungen und bei fehlenden Infrastrukturen das Mobilfunkgerät zum Kommunikationsmittel erster Wahl geworden. Es ist beispielsweise für die vielen auf dem Land lebenden Familien hilfreich, da Eltern oder Väter oft mehrere Monate lang zum Arbeiten in die Städte ziehen müssen. Mit dem Mobiltelefon überbrücken sie nicht nur die Distanz nach Hause – sie organisieren damit auch den Geldtransfer. Viertens begünstigt die hohe Kriminalitätsrate den Siegeszug des Mobile Payment. Bargeldtransporte und -transfers sind riskant. Und fünftens ist der Zugang zum Internet für die meisten Menschen zu teuer – während Mobiltelefone sehr billig sind. Die Mobilfunkbetreiber haben das Potenzial sehr schnell erkannt und bieten SIM-Karten an mit Miniguthaben, das genau dem Preis der Karte entspricht. Der Erwerb einer Mobilfunknummer ist unkompliziert, das Guthaben lässt sich anstandslos übertragen, und bei fehlenden Einheiten kann der Kunde sogar Kleinstkredite für Kurzgespräche aufnehmen. In Afrika wurden Anbieter von Telekommunikationsleistungen auf diese Weise innerhalb kürzester Zeit zu Banken ohne Banklizenz und das mobile Endgerät zum PC-Ersatz.

Die einfache Idee hinter dem Dienst war es, Geldtransfers über das Mobilfunkgerät abzuwickeln. Das Verfahren ist bestechend einfach. Nach einer Registrierung erhält der Kunde seine Zugangsdaten und verfügt dank einer speziellen Zusatzfunktion auf der SIM-Karte über ein Konto, über das Überweisungen von zu Hause oder unterwegs durchgeführt werden können. Für die eigentliche Aus- bzw. Einzahlung sorgen Agenten, die für den Erwerb einer Lizenz eine Summe von umgerechnet 1000 Euro zahlen müssen und über das ganze Land verteilt sind. Mittlerweile drängen immer weitere Anbieter auf den Markt. Nachdem Safaricom das grenzüberschreitende Geschäft zum Beispiel mit Großbritannien eröffnet hat, drängen auch Geschäftsbanken, Kreditkartenbetreiber, andere Netzbetreiber und Finanzdienstleister mit ihren Angeboten auf den Markt. »Die Möglichkeit, Geld mit dem Mobilgerät zu überweisen, hat die Landschaft der Finanzdienstleistungen radikal verändert«, urteilt Gail Galuppo, Vizepräsident und Marketingchef von Western Union. Innerhalb kürzester Zeit haben sich alle großen Unternehmen in Kenia auf den neuen Service eingestellt. Strom- und Wasserrechnungen lassen sich per Handy bezahlen, ebenso der Einkauf in manchen Supermärkten, Eintrittskarten, Flugtickets, Schulgebühren und Lohnüberweisungen.

Beim mobilen Zahlungsverkehr sind die Entwicklungsländer weit voraus. Längst nutzen viele Afrikaner für ihre Geldgeschäfte ein mobiles Gerät, das Banken und Bankkonten ersetzt und den Transfer von Minibeträgen rentabel gestaltet.

Transformation in andere Regionen

Dieses überaus erfolgreiche Modell wurde weltweit kopiert. Beispiele gibt es in Peru (Service Pago Móvil), in Afghanistan (M-Paisa), vor allem in Indien, wo das Geschäft mit Mobile Payment ebenfalls boomt, wenn auch nicht ganz freiwillig, da 2016 die indische Regierung Geldscheine im Wert von 500 und 1000 Rupien (Anm. d. Red.: entspricht in etwa unseren 5- bzw. 10-Euroscheinen) mit sofortiger Wirkung für ungültig erklärte, was 80 Prozent des indischen Bargelds entspricht. Auch in Asien ist sind mobile Bankgeschäfte nicht mehr wegzudenken. Insbesondere in China wurde durch den Start der WeChat Plattform durch Tencent im Jahre 2011 die Initialzündung für die chinesische Payment-Revolution gelegt, denn nicht die digitalen Güter stehen im Vordergrund, sondern die Möglichkeit nahezu jedes Handels- und Dienstleis-tungsangebot über Barcodes nutzen und bezahlen zu können. Diese Entwicklung liefert auch einen wichtigen Beitrag für die heute führende Rolle der Chinesen bei künstlicher Intelligenz. Interessant ist, dass der Startschuss am chinesischen Neujahrstag 2014 durch „Rote Umschläge mit Bargeld“ gelegt wurde. Solche Umschläge sind eine Tradition zum Neujahrstag. WeChat gab ihren Nutzern die Möglichkeit, digitale rote Umschläge mit echtem Geld an Freunde zu versenden. Sobald die Benutzer ihre Bankkonten mit WeChat verknüpften, konnten sie Umschläge im Wert eines bestimmten Geldbetrages an eine Person oder in einen Gruppenchat verschicken und ihre Freunde an einer Art Wettbewerb teilnehmen lassen: Wer sie erhält und die Umschläge zuerst öffnet, bekommt schließlich das Geld. Dieses Geld existierte dann in der WeChat Wallet der Benutzer innerhalb der App. Es konnte von da an verwendet werden, um Einkäufe zu tätigen oder es an andere Freunde zu versenden. Die Mischung aus Tradition und Gamification führte zur Versendung von 16 Millionen Paketen am Neujahrstag und die Anbindung bzw. Akquise von 5 Millionen Bankkonten. Grundlage für den Erfolg war aber das Fehlen einer vergleichbaren Infrastruktur und eines Bankensystems wie in Europa. 

Das führt gerade zu dem Paradoxon, dass mobile Services in den vergangenen 15 Jahren in den Entwicklungsländern ungleich innovativer waren als in Europa, da aufgrund der technologischen Reife, der Regulierung und der guten Infrastruktur bestimmte Dienste wie z. B. mobiles Bezahlen keine so starke Notwendigkeit erzeugten (COVID-19 ändert das gerade), wie in Ländern, wo diese Voraussetzungen nicht gegeben sind.

Schaltzentrale unseres Lebens

In den Entwicklungsländern wird die Entwicklung von mobilen Diensten weiterhin sehr innovativ verlaufen, um Defizite in Infrastrukturen und fehlende Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung zu beseitigen. In den entwickelten Ländern jedoch wird sich das mobile Gerät immer mehr zur persönlichen Schaltzentrale des Lebens entwickeln. Während auch einfache Geräte in Entwicklungsländern vielfältige Funktionen übernehmen können, wird in den entwickelten Ländern die technologische Weiterentwicklung wie künstliche Intelligenz, verbesserte Kamera, verbesserte Sensorik, Sicherheit und individuelle Anpassung im Vordergrund stehen, um immer mehr Bereiche des täglichen Lebens individuell steuern zu können. Die weiteren Entwicklungen bleiben auf jeden Fall spannend.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2021 November/Dezember