Beitrag von Frank Zwintzscher, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Schienenverkehr, Deutsches Museum
Heute wird viel über städtischen Güternahverkehr auf Schienen diskutiert. Der Berliner Senat lässt aktuell prüfen, Fracht mit der S-Bahn zu befördern. Zudem laufen in mehreren deutschen und europäischen Städten Versuche, den Güterverkehr per Straßenbahn neu zu beleben. Ein Blick in die Geschichte zeigt: Alles schon mal da gewesen. Ob die Poststraßenbahnen in allein 31 Städten Süddeutschlands oder die Hausmüllabfuhr per Eisenbahn in Berlin – historisch gesehen gab es bereits sehr unterschiedliche Lösungen für städtischen Schienengüterverkehr.
Eine ungewöhnliche Form fand sich in München: Deutschlands einzige und wohl weltweit die erste reine Post-Untergrundbahn. Zwischen 1910 und 1988 transportierte sie wesentliche Teile des Münchner Briefaufkommens zwischen dem Hauptbahnhof (Starnberger Bf.) und dem nahe gelegenen Brief- bzw. Bahnpostamt. Auch wenn die Bahn ausschließlich für den Posttransport bestimmt war, hatte sie ihre Wurzeln in zeitgenössischen Entwicklungen des städtischen Güternahverkehr auf Schienen: Eine Delegation von preußischen Bahnbeamten und -industriellen hatte bei einer Studienreise in die USA 1907 unter anderem das ausgedehnte Fracht- und Post-U-Bahnnetz kennengelernt, das die Illinois Tunnel Company seit 1905 unter Downtown Chicago betrieb. Nach der Rückkehr wurde zunächst eine reine Post-U-Bahn in Berlin projektiert, jedoch nicht ausgeführt. Umgesetzt wurde die Idee aber in München.
1910 eröffnete die lediglich rund 350 m lange Tunnelbahn. Der 1,20 m hohe und 2,35 m breite Tunnel bot Raum für eine zweigleisige Strecke auf 450 mm Spurweite und einen Wartungsgang in der Mitte. Auf jedem Gleis pendelten unabhängig voneinander je eine Garnitur der Elektrozüge im unbemannten, halbautomatischen Betrieb. An einer Lok hingen vorne und hinten je zwei offene Wagen, mit denen jeder Zug etwa 480 kg Briefsäcke transportieren konnte. Bei stündlich rund zehn Zügen ergab das eine Transportleistung von knapp fünf Tonnen Post. Die eingesetzte Technologie war 1910 state of the art: Der Tunnel war aus vorgefertigten Betonteilen ausgeführt und reichte bis 6,80 m unter Straßenniveau. Für die Elektrolokomotiven von Krauss und Siemens-Schuckert hatte man sich für einen Drehstromantrieb bei 155 V entschieden, der zwei Phasen über eine doppelte Oberleitung und die dritte über das Gleis führte. Bei einer Leistung von 2,2 kW legten sie die Strecke mit 12 km/h in gut 100 Sekunden zurück.
Nahezu unverändert lief der Betrieb über Jahrzehnte, unterbrochen lediglich durch einen Kriegsschaden zwischen 1944 und 1948. Eine wesentliche Modernisierung erfuhr die Bahn erst in den 1960er Jahren, um dem Transportbedarf des wachsende Postaufkommens zu genügen und zugleich Platz für den Bau der S-Bahn-Stammstrecke zur Olympiade 1972 zu schaffen. Deren geplante Linienführung kreuzte die Post-U-Bahn. Es folgte ein Tunnelneubau von rund 200 m in leicht veränderter Lage und eine Verlängerung auf insgesamt rund 410 m. Ein neuer Fuhrpark umfasste Lokomotiven von Schöma und BBC, die nun 220 V Gleichstrom über eine mittige Stromschiene bezogen. Die erhöhte Leistung von 6,8 kW pro Lok sowie eine automatisierte Steuerung von Zugfolge, Be- und Entladevorgängen erhöhten die Transportleistung der Bahn auf 11.000 Postsäcke in rund 300 Fahrten täglich rund um die Uhr. Erst in den späten 1980er-Jahren gelangte die Anlage an ihre Kapazitätsgrenzen. Zudem machte der zusätzliche Be- und Entladeaufwand die Bahn zunehmend unwirtschaftlich. Mit dem Umzug des Briefpostamtes näher an den Hauptbahnhof wurde der Betrieb 1988 eingestellt und durch bemannte elektrische Transportkarren ersetzt. So endete diese Sonderlösung des städtischen Schienengüterverkehrs. Fahrzeuge und Gleise der Münchner Bahnen von 1910 und 1966 befinden sich heute im Deutschen Museum. Vergleichbare PostU-Bahnen fanden sich in Zürich (1938), Luzern (1937) sowie in London (1927), wo der Betrieb erst 2003 endete.
Literatur
Isabell Koch, Unterirdischer Posttransport. Die Münchner Post-U-Bahn im Museum, in: Das Archiv, 2014, Heft 2, S. 94-96.
Bernhard Brandmair, Post-Untergrundbahn in München, in: f + h – Fördern und Heben, 30 (1980), Heft 5, S. 403-405.
Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 01/2024 JAN/FEB