Die Wiege des Vectron

München – Standort mit Tradition

Beitrag von Dr. Gert Kupetz, Siemens Mobility, München

In München Allach hat der Lokomotivbau eine lange Geschichte. Angefangen hat der Bau von Lokomotiven bereits im Jahr 1838, drei Jahre später lieferte J. A. Maffei seine erste Lokomotive namens „Der Münchener“ aus. Auch die wohl schönste je in Deutschland gebaute Dampflokomotive – die bayerische S3/6 – stammte aus dem Werk Maffei.

Im Jahr 1867 gründete G. Krauss neben J.A. Maffei eine zweite Münchner Lokfabrik. Die erste von G. Krauss gebaute Lok war „Die Landwührden“. Im Jahr 1913 begann bei Krauss die Planung eines neuen Werkes in München-Allach, welches im Jahr 1935 abgeschlossen wurde. Doch schon vor der Fertigstellung bekam das Lokomotivenwerk einen neuen Namen: Krauss übernahm 1931 den Lokomotivenbau von Maffei und hieß nun Krauss-Maffei AG. Seitdem werden Lokomotiven aus München-Allach in alle Welt geliefert, seit 2001 als Bestandteil des Siemens Konzerns. Heute verzeichnet Siemens Mobility Rekordzahlen und es wurden aus München insgesamt mehr als 23.000 Lokomotiven ausgeliefert.

In Allach trifft Tradition auf Innovation und Zukunft. Innerhalb des Siemens Konzerns bei der Siemens Mobility gilt der Standort München als Lead Factory für Hochleistungslokomotiven.

Hier sind ein Großteil der Entwicklung und Konstruktion sowie die Fertigung der Lokomotiven von A bis Z konzentriert. Unter Anwendung modernster Konstruktions- und Berechnungswerkzeuge setzen die Ingenieure die Anforderungen des Marktes, der Kunden sowie die Vorgaben aus Normen und Zulassungsanforderungen in marktgerechte Produkte um. Die enge Verzahnung von Engineering und Produktion hat für die Kunden enorme Vorteile: Sie erhalten die Lokomotive komplett aus einer Hand. Dank der modularen Konstruktion und Fertigung, der angepassten Prozesskette und der Einführung von Lean Prinzipien in der Fertigung, kann zudem eine Lokomotive in Rekordzeit fertiggestellt werden. Allach bietet dem Kunden sogar noch mehr: Im Allacher Rail Service Center können Kunden auch noch ein Full Service Paket für ihre hier gebauten Lokomotiven erhalten.

Vectron – ein Standard in Europa

Seit 2010 werden in Allach hauptsächlich Lokomotiven der Vectron-Familie gebaut. Seit der Weltpremiere des Vectrons auf der Innotrans 2010 zählt die moderne Hochleistungslokomotive zu den besten der Welt und ist nicht mehr aus dem Güter- und Personenverkehr wegzudenken. Vorgestellt wurden auf der Innotrans vier Vectron-Varianten: Wechselspannung, Gleichspannung, Mehrsystem und Dieselelektrisch – ein komplettes Spektrum an verschiedensten Lokomotiventypen. Mit dem Erstauftrag der Leasing-Firma Railpool über sechs Vectron AC im Dezember 2010 begann eine Erfolgsgeschichte, die noch lange nicht zu Ende geht. Auch heute noch ist Railpool Kunde, so wurde im September 2023 der 1250. Vectron an Railpool ausgeliefert.

Zwischenzeitlich wurde die Vectron Familie um den Smartron sowie den Vectron Dual Mode erweitert. Der Smartron ist eine AC-Lokomotive für den Ein-Länder-Einsatz. Der Vectron Dual Mode vereinigt in sich die Möglichkeit eine vorhandene Oberleitung zu nutzen, aber auch nicht-elektrifizierte Strecken mit Hilfe eines Dieselantriebs zu befahren.

Die Vectron-Lokomotive ist inzwischen in 20 Ländern zugelassen und ermöglicht dadurch grenzüberschreitenden Güterund Personenverkehr. Aktuell arbeitet man an der Zulassung für Frankreich.

Die Entstehung des Vectrons im Hochleistungswerk Allach

Der Grundstein für eine effiziente und skalierbare Lokomotivenfertigung wurde in Zusammenarbeit von Engineering und Produktion bereits in der Entwicklungsphase des Vectrons gelegt. Der Vectron wurde als Produktfamilie für unterschiedliche Anwendungen modular mit standardisierten Schnittstellen entwickelt – ein Novum im Lokomotivenbau und Basis für Steigerungen von Automatisierungsgrad und Qualität.

Die Wertschöpfung im Lokomotivenwerk Allach umfasst das Schweißen und Lackieren des Wagenkastens, die Vormontage der Einzelkomponenten sowie die komplette Endmontage des Fahrzeugs.

Um der großen Nachfrage der letzten Jahre nachzukommen, mussten Prozesse in der Fertigung wiederholt angepasst werden. Es gibt drei grundsätzliche Optimierungshebel im Werk Allach: Zum einen ist dank der Einführung des Siemens Produktionssystems eine standardisierte und höchst effiziente Produktion möglich. Seit 2023 sogar im Rekordtakt von 0,77. Das bedeutet, dass pro Tag 1,33 Lokomotiven fertiggestellt werden. Die getaktete Fließfertigung ist im gesamten Werk umgesetzt und garantiert eine hohe Produktivität sowie kurze Durchlaufzeit.

Ein weiterer Optimierungshebel der Fertigung besteht in der Automatisierung der Produktionskette. Beispielsweise werden die Hauptbaugruppen des Wagenkastens auf Laserhybrid-Schweißrobotern gefertigt, die aufgrund ihrer hohen Qualität und Präzision sehr effizient in standardisierten Taktlinien, sogenannten U-Zellen, zu Wagenkästen verschweißt werden. Um den Lackierungsprozess unserer Lokomotiven weiter zu optimieren, wird aktuell in eine moderne Roboterlackieranlage investiert, deren Fertigstellung in Kürze abgeschlossen sein wird. Verwendet werden bei der Lackierung des Vectrons ausschließlich umweltfreundliche, wasserbasierte Lacksysteme.

Auch in der Vormontage von E-Komponenten und Schaltschränken wird kontinuierlich automatisiert. So werden Kabel automatisch vorkonfektioniert und mit Anschlussinformationen bedruckt, ein kollaborativer Roboter konfektioniert Stecker für die Verkabelung vor und ein fahrerloses Transportsystem beliefert damit die Arbeitsplätze.

Der dritte Hebel der Fertigungsoptimierung in Allach lautet Digitalisierung. Im Rohbau sowie in der Vor- und Endmontage wird mit einer Reihe von lasergestützten Augmented Reality Systemen gearbeitet: Diese unterstützen bei der Positionierung von Anschweißteilen im Rohbau, dem Anfertigen von komplexen Kabelbäumen, sowie dem Verlegen von Kabeln im Wagenkasten. Auch die Fertigungsunterlagen sind seit vielen Jahren papierlos und komplett digitalisiert am Arbeitsplatz verfügbar. In der Materiallogistik werden diverse Prozesse zwischen Produktion und Transport per App gesteuert, wie z.B. nicht taktgebundene Materialabrufe oder Transporte. Dies vermeidet nicht nur unnötigen Ressourcen- und Papierverbrauch, sondern auch Warte- und Stillstandzeiten.

Der Weg des Vectrons in Allach endet aber nicht mit der Endmontage. Am Standort Allach wird auch die komplette Inbetriebsetzung des Fahrzeugs durchgeführt. Im Rahmen der Inbetriebsetzung wird die Software konfiguriert und diverse Tests durchgeführt. Erste Fahr- und Bremsprüfungen werden auf einem 450 m langem Testgleis durchgeführt. Letzteres ist übrigens mit fünf verschiedenen Spurweiten und vier verschiedenen Oberleitungsspannungen ausgerüstet, um Lokomotiven für unterschiedlichste Länderkonfigurationen testen zu können. Abschließend erfolgt eine Testfahrt im öffentlichen Netz, um alle Lokomotiven optimal vor der Kundenübergabe zu testen. Nach Auslieferung wird der Betrieb der Lokomotiven beim jeweiligen Kunden einer Produktbeobachtung unterzogen. Dazu erfolgt eine Felddatenerfassung und -analyse, deren Ergebnisse in die Neu- bzw. Weiterentwicklung der Produkte einfließen. Je nach Bedürfnislage der Kunden kann ein breites Portfolio an Serviceleistungen den Betrieb der Lokomotiven unterstützen.

Die Auftragslage bei Siemens Mobility liegt weiterhin auf einem Rekordhoch. Deshalb wird die Produktionsstätte von aktuell 50.000 auf 80.000 m² erweitert, um dem erhöhten Auftragsvolumen gerecht werden zu können. Die Fertigstellung der Werkserweiterung ist für 2024 vorgesehen.

Zahlen und Fakten

Ende September 2023 waren 1846 Vectron E-Lokomotiven an 66 Kunden verkauft, davon 1337 Mehrsystemloks, 62 Loks 3 kV DC und 447 AC-Lokomotiven für 25 und 15 kV. Zusätzlich aus der Vectron Familie 115 Smartron, 265 Vectron Dual Mode und 9 Vectron DE. Die Vectron Familie zählt somit aktuell über 2200 Mitglieder.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 01/2024 JAN/FEB

Hier finden Sie weitere Beiträge zum Thema "Bahntechnik"