Effizienter Güterverkehr am Knotenpunkt Rangierbahnhof

Konzeption, Aufbau und betriebliche Erprobung der vollautomatischen Rangierlok

Beitrag von Lucas Greiner-Fuchs, M.Sc. TH Nürnberg

Bereits im Jahr 2018 konnten das Institut für Fahrzeugtechnik Nürnberg (IFZN) und das Labor für mobile Robotik der Technische Hochschule Nürnberg (THN) in Kooperation mit der DB Cargo AG im Projekt VAL2020 eine Machbarkeitsstudie und den Aufbau eines Demonstrators einer vollautomatisierten Abdrücklokomotive erfolgreich umsetzen [1].

Basierend auf diesem Erfolg liegt im Nachfolgeprojekt der Fokus auf der Ausrüstung und Erprobung einer vollautomatischen Rangierlokomotive (VAL) zur vollständigen fahrerlosen Automatisierung des Abdrückvorgangs in Zugbildungsanlagen [2]. Im vom „Bundesministerium für Digitales und Verkehr“ geförderten Projekt wird seit 2021 am Rangierbahnhof München-Nord geforscht. Als erster digitaler Güterbahnhof Deutschlands sollen in München unterschiedliche Projekte zur automatisierten Zugbildung durchgeführt werden. Durch die bereits automatisierten Rangierprozesse Anrücken und Abdrücken mittels einer Abdrückautomatik ohne Fahrereingriff ist der Rangierbahnhof auch für das Projekt VAL bestens geeignet. Ziel des Projekts ist nun den gesamten Abdrückbetrieb fahrerlos zu verwirklichen, sodass die Abdrücklokomotive nach Beendigung der Abdrückautomatik einerseits selbstständig eine Umsetzfahrt durchführt, ausgehend vom Berg zum Stutzen, hinter die nächste abzudrückende Einheit. Andererseits soll die Lokomotive auch Rangieraufgaben in den Richtungsgleisen, wie unter anderem das Beidrücken von Wagengruppen, Räumen von Stehenbleibern und Zurückholen von Falschläufern, absolvieren. Somit liegt ein hoher Fokus auf der Entwicklung der selbstfahrenden Komponente, die neben der Steuerung der Lokomotive den Fahrweg und das Umfeld überwachen muss.

Entwicklung der vollautomatischen Rangierlok

Es wird ein sequenzielles Entwicklungsvorgehen verfolgt, bei dem die VAL zunächst zum GoA2-Level (Grade of Automation) automatisiert wird, bei dem ein Lokführer als Rückfallebene auf der Lokomotive verbleibt. Nach erfolgreicher Umsetzung und Erprobung soll das System zum fahrerlosen GoA4-Level ausgebaut werden. Die Schwerpunkte im Projekt VAL umfassen neben der Umsetzung der Lokkomponenten, die Entwicklung der Infrastrukturkomponenten auf der Landseite sowie die Verwirklichung eines umfangreichen Testkonzepts.

Das automatisierte System auf der Lokomotive beinhaltet neben der Definition eines geeigneten Sensorkonzepts und Rechnerkomponenten, die Umsetzung der Bedienschnittstelle für den GoA2-Betrieb sowie die Programmierung der Umfelderkennung mit daraus abgeleiteter Fahrentscheidung als Regelung zum Fahren und Bremsen der Lokomotive. Die größte Herausforderung beim automatisierten System liegt in der sensorgestützten Überwachung des Umfelds und der Entscheidungsfindung hinsichtlich der Hindernisrelevanz detektierter Objekte im Sensorbild. Dazu ist die VAL mit einem HochleistungsLiDAR ausgerüstet. Mittels des hochauflösenden 4D-LiDAR-Sensors können Objekte definierter Größe in ausreichender Entfernung erkannt werden, sodass die Lokomotive auf Hindernisse im Fahrweg reagieren und rechtzeitig zum Stehen kommen kann. Zur Unterscheidung hinsichtlich geplanter Objekte im Fahrweg, wie zum Beispiel eine Wagengruppe, die die VAL abdrücken soll, sowie ungeplant auftretender Hindernisse, erfolgt in der Entscheidungsfindung des automatisierten Systems eine Objektklassifizierung und -plausibilisierung, um die richtige Fahrreaktion ausrufen zu können. Für die Überwachung der Lokomotive und zur Übermittlung von Fahraufträgen besteht zwischen der VAL und der Landseite eine Kommunikationsschnittstelle. Über diese kann einerseits der fehlerfreie Betrieb des automatisierten Systems überwacht und bei Fehlermeldungen oder Auffälligkeiten ein Nothalt der Lok ausgelöst werden. Andererseits bekommt die VAL über die Schnittstelle die Rangieraufträge vermittelt. Diese beschreiben neben der Rangiertätigkeit, Start- und Zielgleis der VAL und geben den Befehl zum automatisierten Fahrbetrieb frei.

Testmethode der TH Nürnberg zur Erprobung der VAL

Ein wichtiger Bestandteil in der Entwicklung hochautomatisierter Fahrsysteme ist eine umfangreiche Erprobung zur Überprüfung des sicheren Betriebs. Innerhalb des Projekts VAL entwickelt die THN eine Testmethodik zur Erprobung der vollautomatisierten Rangierlokomotive. Es wird ein szenariobasierter Ansatz verfolgt, bei dem möglichst alle vorkommenden Situationen im Anwendungsfeld der VAL durch Szenarien beschrieben werden. Aufgrund der Vielzahl an Testszenarien sowie organisatorischen und kostenintensiven Herausforderungen der Felderprobung erfolgt die primäre Testdurchführung in der Simulation. Parallel dazu werden jedoch auch ausgewählte und kritische Szenarien im realen Feld getestet. Das IFZN entwickelt für die virtuelle Erprobung eine institutseigene Simulationsumgebung, basierend auf der Unreal Engine 5. Dort kann der Rangierbahnhof München-Nord und alle dort vorkommenden Objekte sowie unterschiedliche Wetter- und Umgebungsbedingungen abgebildet werden (s.Abb.1). Zusätzlich werden die VAL sowie die integrierten Sensoren simuliert und so eine realitätsnahe Simulation geschaffen. Durch dieses Werkzeug kann eine Vielzahl an Situationen zunächst kostengünstig und zeiteffizient am Rechner erprobt und die Anzahl der Feldtests auf funktionale Anforderungen sowie kritische Szenarien reduziert werden [3], [4].

Zum aktuellen Projektstand befindet sich die VAL in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium zum GoA2-Prototypen. Der verwendete LiDAR-Sensor ist in einem Sensorbalken an der Lokomotive montiert (s. Abb.2) und das System zur Fahrwegüberwachung und Entscheidungsfindung auf der Lokomotive installiert. Über ein im Führerstand integriertes Human Machine Interface (HMI) können dem Lokrangierführer die detektierten Objekte und die daraus resultierende Systementscheidung zur Unterstützung angezeigt werden. Zudem kann dieses genutzt werden, um spezifische Fahraufträge an die Lok zu übertragen. Innerhalb erster Systemtests wurden bereits Entwicklungspotenziale des Systems aufgedeckt und zielführend ausgebessert. Im nächsten Schritt wird die VAL Abnahmetests unterzogen, um nach erfolgreicher Erprobung den Grundstein für die Weiterentwicklung zum fahrerlosen GoA4-Prototypen zu legen.

Information

Abdrücken: Rangiervorgang, bei dem eine Rangierlokomotive Güterwagen über einen Ablaufberg (meist künstlich erschaffene Erhöhung an einem Rangierbahnhof) schiebt, damit diese mit Hilfe der Schwerkraft in ihr Zielgleis laufen und somit sortiert werden.

Abdrücklokomotive: Spezielle Bezeichnung einer Rangierlokomotive, deren primäre Aufgabe der Abdrückbetrieb am Rangierbahnhof ist.

Beidrücken: Rangierbewegung zum Zusammenschieben von getrennt stehenden Güterwagen, um einerseits freie Gleislänge zu schaffen und andererseits Wagen kuppelreif aufzustellen.

Literatur

[1] M. Cichon und R. Schaal, „Vollautomatische Abdrücklokomotive – Machbarkeitsstudie und Aufbau eines Demonstrators“, gehalten auf der 16. Internationale Schienenfahrzeugtagung, Dresden, Sep. 2018. [Online]. Verfügbar unter: www.researchgate.net publication/327860783_Vollautomatische_Abdrucklokomotive_-_Machbarkeitsstudie_und_Aufbau_eines_Demonstrators

[2] „EBA – VAL“, Eisenbahn-Bundesamt. Zugegriffen: 14. April 2023. [Online]. Verfügbar unter: www.eba. bund.de/ Z-SGV/Projekte/laufende_Projekte/VAL/val_node.html

[3] S. Schäfer, L. Greiner-Fuchs, T. Hofmeier, P. Koch, und M. Cichon, „Virtual Validation Method of Automated On-Sight Driving Systems for Shunting Operations“, in BOOK OF ABSTRACTS, Belgrade, Serbia: University of Belgrade – The Faculty of Transport and Traffic Engineering, Apr. 2023.

[4] L. Greiner-Fuchs, S. Schäfer, T. Hofmeier, und M. Cichon, „Database-supported methodical approach for the development of a toolchain for the evaluation of ATO functions using a scenario-based test methodology“, in Proceedings of the Fifth International Conference on Railway Technology: Research, Development and Maintenance, in Paper 13.4. Montpellier: Civil-Comp Press, 2022. doi: 10.4203/ccc.1.13.4.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 01/2024 JAN/FEB

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