Gütertransport: Neue Möglichkeiten durch Automatisierung

Beitrag von Dr.-Ing. René Zweigel, Projektleiter von Galileo Online: GO! Oberingenieur am Institut für Regelungstechnik an der RWTH Aachen University

Automatisierung und autonomes Fahren sind zukunftsweisende Entwicklungsschritte für effizientere und sicherere Prozessabläufe. Insbesondere der Bahnsektor kann davon profitieren. Im Projekt Galileo Online: GO! wurde genau dafür ein integrierter Navigationsempfänger entwickelt. Mehr über das Projekt erfahren Sie in diesem Beitrag.

Automatisierung und autonome Systeme

Die Automatisierung von Transportsystemen aller Art ist ein aktuelles und rasant fortschreitendes Entwicklungsthema, verspricht es doch eine effizientere, sicherere und ökonomischere Mobilität für alle. Denkt man jedoch an autonome Systeme, also Vehikel, die sich in Ihrer Umgebung allein zurechtfinden und auf unerwartete, gegebenenfalls sogar unbekannte Situationen reagieren müssen, so wird klar, dass noch ein langer Weg vor uns liegt.

Im Zuge der Automatisierung liefert die Satellitennavigation einen essentiellen Beitrag, da hierüber eine absolute Positions- und Geschwindigkeitsbestimmung des jeweiligen Fahrzeugs möglich ist. Koppelt man diese Informationen zusätzlich mit Sensordaten vom Fahrzeug selbst, so kann die momentane Bewegung und Orientierung hochfrequent beschrieben werden. Damit ist es anschließend möglich, die zukünftige Bewegung des Vehikels vorherzusagen. Macht man das für alle Fahrzeuge in der unmittelbaren Umgebung und tauscht diese Informationen aus, so könnten sich diese Fahrzeuge in einer möglichen Zukunft untereinander abstimmen und kooperativ handeln.

Satellitennavigation im Bahnbereich

Bei der Integration von Satellitennavigation als Basis für Automatisierungsfunktionen hat sich der Automobilbereich als einer der stärksten Entwicklungstreiber etabliert. Verglichen damit existieren laut dem GNSS Market Report 2017 der European Global Navigation Satellite Systems Agency GSA [1] im Bahnbereich noch große Potentiale für neue navigationsbasierte Anwendungen. Diese Aussage bezieht sich hierbei sowohl auf komfortsteigernde Informationsdienste als auch auf sicherheitskritische Anwendungen, beispielsweise für die Zugsignalisierung oder in Zugleitsystemen.

Vor allem die Definition und Einführung von ETCS (European Train Control System) für Zugleitsysteme, die automatisierte Sicherungsfunktionen und eine permanente Zugkontrolle und Zugüberwachung übernehmen, wird der Integration von Satellitennavigation in sicherheitskritische Bahnfunktionen mittelfristig enormen Anschub verleihen. Durch diese Integration und der damit verbundenen Entwicklung von neuen Automatisierungs- und Sicherungsfunktionen lassen sich effizientere Prozessabläufe realisieren. Zusätzlich erlaubt eine satellitenbasierte Lokalisierung, die aktuell bestehende, schienenseitige Sensor- und Geräteausstattung zu reduzieren und damit enorme Anschaffungs- und Instandhaltungskosten einzusparen.

BMWi-Förderprojekt Galileo Online: GO!

Für eine erfolgreiche Umsetzung automatisierter Fahrfunktionen im Bahnbereich sind beispielhaft eine gleisgenaue Positionsbestimmung, eine generelle Vernetzungsfähigkeit und ein flexibler, mobiler Datenaustausch notwendige Voraussetzungen. Diese drei wichtigen Themen wurden durch das BMWi-Förderprojekt Galileo Online: GO! (BMWi-Förderprojekt, FKZ: 50NA1510, Laufzeit 04/2015 bis 06/2018) aufgegriffen. Es hatte die Entwicklung eines robusten und hochgenauen Satellitennavigationsempfängers speziell für Bahnanwendungen zum Ziel.

Besonderes Alleinstellungsmerkmal im Projekt war die nahtlose Ankopplung der Empfängersoftware und -hardware an sogenannte zentrale Dienste. Dazu wurde ein System aus der Synthese von optimierten Kommunikationswegen zur Datenerfassung und -bereitstellung und zentralen Diensten basierend auf einer modularen Service-Architektur entworfen [2]. Dadurch war es möglich, mehrere Empfängermodule miteinander und zentral verwaltet zu vernetzen und so neue Verwertungsszenarien mit Schwerpunkt auf Bahnanwendungen, wie z. B. dem vollautomatisierten Flachrangieren, umzusetzen.

Projektpartner waren das Institut für Regelungstechnik an der RWTH Aachen, die SCISYS Deutschland GmbH, die Vodafone GmbH, das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen, die IMST GmbH und die innoZ GmbH. Die RWTH Aachen übernahm im Projekt die Gesamtkoordination, entwickelte ein Navigationsfilter für Bahnanwendungen [3] und verantwortete den Funktionsnachweis der Projektergebnisse anhand realer Demonstratoren [4].

Umsetzung bahnrelevanter Anwendungsszenarien in Projekt GO!

Zum generellen Funktionsnachweis und zum Aufzeigen der Systempotentiale wurden in GO! bahnrelevante Anwendungsszenarien identifiziert und beispielhaft umgesetzt.

Dazu zählten:

  • die permanente Zugvollständigkeitsprüfung,
  • die Datenauswertung von online ermittelten Sensordaten und
  • das vollautomatisierte Flachrangieren.

Diesen drei Szenarien war gemein, dass mit Hilfe des entwickelten Empfängers eine hochgenaue Positionsbestimmung der einzelnen Fahrzeuge und Wagen vorgenommen werden konnte, die anschließend über die optimierten Kommunikationswege an die zentralen Dienste zur Verarbeitung und Weiterverwendung übermittelt wurden. So konnte mit diesen Daten über einen Rangiermanager ein komplettes Rangierszenario automatisiert umgesetzt und koordiniert werden.

Anwendung: Automatisiertes Rangieren

Für kleinere Rangierbahnhöfe, die die Zugzusammenstellung beispielsweise für die weitere lokale Güterdistribution durchführen, nimmt das Flachrangieren einen hohen Stellenwert ein. Hierbei ist ein entsprechender personeller Aufwand für Planung, Zugzerlegung und Rangierfahrten notwendig. Mit der Automatisierung dieser Funktionen ist eine höhere Taktrate, ein 24/7-Betrieb und eine Reduzierung von Personen ‚im Gleis‘ möglich. Dadurch kann die Wirtschaftlichkeit von kleineren Rangierbahnhöfen sichergestellt und die Sicherheit für die Mitarbeiter erhöht werden.

Im Rahmen von GO! diente das automatisierte Flachrangieren als komplexes Szenario in herausfordernder Umgebung für die Satellitennavigation mit Satellitenverdeckung, enger Gleislage und Weichenfahrten. Hier konnten die entwickelte Lokalisierungskomponente, eine Datenübertragung via Mobilfunk und die Automatisierung des Rangierprozesses wissenschaftlich evaluiert werden. Mit dem umgesetzten Rangierszenario konnte außerdem das vernetzte Zusammenspiel zwischen mehreren GO!-Empfängern inklusive Kommunikationsmodulen und den zentralen Diensten gezeigt werden.

Als Rangiermaschine kam ein Elektrorangierer zum Einsatz, der in GO! automatisiert wurde, mit dem Rangierschritte automatisch ausführt werden konnten, dessen Position über den GO!-Empfänger ermittelt und an die Zentralen Dienste mitgeteilt wurde. Der Elektrorangierer ist in Abbildung 1 zu sehen.

Im beispielhaft umgesetzten Rangierprozess wurde die Reihenfolge von zwei Güterwagen auf zwei parallelen Gleisen getauscht, wobei mehrere Weichenüberfahrten notwendig waren, siehe Abbildung 2.

Zusammenfassendes Ergebnis des Projekts

Insgesamt wurde in GO! ein Satellitennavigationsempfänger mit integriertem Kommunikationsmodul für den Bahnbereich entwickelt, der direkt mit einer modularen Service-Plattform verbunden werden kann. Dadurch ist eine zentrale Datenauswertung und Koordination von mehreren Fahrzeugen bis theoretisch hin zur gesamten Flotte möglich. In der Abschlussdemonstration zum automatisierten Rangieren konnten die Stärken und die Potentiale des Systems sowie die gleisgenaue Lokalisierung gezeigt werden.

Unabhängig davon handelt es sich beim entwickelten System um einen Demonstrator im Entwicklungsstadium. Ein nächster Schritt ist beispielsweise die Anbindung von elektronischen Stellwerken, ein Ausfallsicherheitsnachweis und eine Gerätezertifizierung. Diese Arbeiten müssen in enger Abstimmung und Zusammenarbeit mit Bahnunternehmen durchgeführt werden.

Literatur

[1] GSA: European Global Navigation Satellite Systems: GNSS Market Report, 2017.
[2] F. Siemer, S. Lehnhausen, H. Müller, S. Recher, M. Bösinger und D. Dohmann: Generic Service Infrastructure for GNSS-receivers in a Cooperative Network, Darmstadt: Proceedings of DGON CERGAL, 2017.
[3] J. Gehrt, R. Zweigel, T. Konrad und D. Abel: How the Parallel Use of GPS and Galileo Benefits Railway Applications, Inside GNSS GPS, Galileo, GLONASS, Beidou, pp. 40-47, 04 2018.
[4] J. Lin, J.-J. Gehrt, T. Konrad, M. Breuer, D. Abel und R. Zweigel: Embedded GNSS-receiver for Multi-Constellation Localization in Railway Applications, Proc. of. 31st International Technical Meeting of the Satellite Division of the Institute, pp. 2007- 2017, 09 2018.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2019 Juli/August