Hochleistungsschnellladen

Die Lösung des Reichweitenproblems?

Beitrag von Thomas Hering, Sales Manager EV Charging Deutschland ABB

Die Elektromobilität hält in vielen Wirtschafts-, Industrieund Lebensbereichen nachhaltig Einzug. Begünstigt durch das Bestreben von Städten und Gemeinden, Ländern und Unionen zur Reduktion der CO2 -Emissionen im Verkehrssektor, werden weltweit aktuell eine Vielzahl von Förderprogrammen gestartet, um der Elektromobilität über die offensichtlich bestehenden Hürden hinweg zu helfen. Mehr über die aktuellen Hindernisse und Lösungsansätze.

Hürden beim Kauf von Elektrofahrzeugen

Eine dieser Hürden, welche sich für viele potentielle Käufer bisher als maßgebliches Hemmnis zum Kauf eines Elektrofahrzeuges herausstellte, ist die – im Vergleich zu verbrennungsmotorisch betriebenen Fahrzeugen – geringe elektrische Reichweite heutiger Elektrofahrzeuge.

Während sich der Mensch über Jahrzehnte an Reichweiten von bis zu 1000 km mit einer Tankfüllung gewöhnt hat, stellen die durchschnittlich erzielbaren Reichweiten elektrischer Modelle von ca. 200 km offensichtlich einen großen Flexibilitätsnachteil dar. Obwohl der „durchschnittliche Deutsche“ lediglich ca. 35 km Fahrtstrecke am Tag zurücklegt, überwiegt die Befürchtung „doch einmal liegen zu bleiben“, was die Attraktivität des Kaufs eines solchen Fahrzeuges vermindert.

Außerdem trugen auch höhere Preise sowie das überschaubare Angebot an Elektrofahrzeugen zu diesem Zustand bei. Eine Verbesserung ist jedoch in Sicht.

Empfundene Reichweite steigt mit Ladeleistung

Um das Reichweitenhemmnis abzubauen, arbeiten Automobilhersteller, Batteriesystemlieferanten und Ladeinfrastrukturhersteller an der Optimierung der Batteriesysteme sowie insbesondere an der Erhöhung der Ladeleistungen. Eine hohe Ladeleistung korreliert direkt mit einer niedrigeren Verweildauer zum Aufladen des Elektrofahrzeuges und steigert somit nachhaltig die Nutzerakzeptanz und die „empfundene“ Reichweite.

Wie in Abbildung 1 zu erkennen, reichen Ladeleistungen heutiger Ladesysteme von etwa 3 Kilowatt beim Laden an der Haushaltssteckdose bis zu 350 Kilowatt an Hochleistungsschnellladesystemen.

Gleichstrom-Schnellladen ermöglicht kurze Standzeiten

Zu Beginn der Elektromobilität wurden erste Elektrofahrzeuge vorrangig über Wechselstrom (engl. Alternating Current, kurz AC) geladen. Der dabei an das Fahrzeug bzw. die Fahrzeugbatterie übergebene Wechselstrom musste im Elektrofahrzeug über eine zusätzliche Leistungselektronik zunächst in Gleichstrom (engl. Direct Current, kurz DC) umgewandelt werden, um die stets auf basierenden Batteriesysteme laden zu können. Aus Kosten-, Bauraum- und Gewichtsgründen war und ist die Leistungselektronik zur Umwandlung von Wechsel- in Gleichstrom im Fahrzeug in ihrer Leistung beschränkt. Das Resultat sind niedrigere Ladeleistungen.

Heutige und zukünftige Elektrofahrzeuge werden hingegen direkt mit Gleichstrom geladen, um sowohl die Kosten für Leistungselektronik im Fahrzeug zu reduzieren als auch höhere Ladeleistungen zu ermöglichen. Ladesysteme auf Gleichstrombasis werden aufgrund der hohen erzielbaren Ladeleistungen auch als „Schnellladesysteme“ bezeichnet.

Während aktuell verfügbare Elektrofahrzeuge auf einem Leistungsniveau von 50 Kilowatt mittels Gleichstrom schnellladen, werden zukünftig verfügbare Elektrofahrzeuge des Premium-Segmentes mit Ladeleistungen von 150 Kilowatt bis zu 350 Kilowatt geladen werden können – das sogenannte „Hochleistungsschnellladen“ (engl. High Power Charging, kurz HPC).

Vision des Hochleistungsschnellladens

Die Technologie des Hochleistungsschnellladens folgt der Vision, bei einer Stand- und Ladezeit von 15 Minuten, eine Reichweite von etwa 300 Kilometern nachladen zu können. Aufgrund der höheren Komplexität werden solch hohe Ladeleistungen zunächst lediglich für höherpreisige Elektrofahrzeuge vorgesehen.

Der Massenmarkt und Volumenmodelle werden weiterhin mit einer Ladeleistung von 50 bis 80 Kilowatt geladen werden können, was im Vergleich einem Reichweitegewinn von etwa 100 Kilometern in 15 Minuten Ladezeit entspricht.

Besondere Anforderungen an Fahrzeuge, Lade- und Netzinfrastruktur

Das Hochleistungsschnellladen stellt besondere Anforderungen an das Elektrofahrzeug, die Lade- und die Netzinfrastruktur. Um Leistungen von bis zu 350 Kilowatt zu erreichen, müssen Ladeströme von bis zu 500 Ampere bei Ladespannungen von bis zu 920 Volt Gleichstrom von der Ladeinfrastruktur bereitgestellt werden und über die konduktive Stecker-Verbindung zwischen Fahrzeug und Ladesystem übertragen werden.

Da Automobilhersteller unterschiedliche Konzepte hinsichtlich der Ladespannungen verfolgen, müssen Hochleistungsschnellladeinfrastrukturen sowohl das Laden auf einer Ladespannung von 400 Volt als auch 800 Volt Gleichstrom beherrschen. Die erhöhte Ladespannung ermöglicht dabei eine Reduzierung des Strombedarfs zur Ladung und führt somit zu dünneren und leichter handhabbaren Ladekabeln.

Trotz der höheren Spannung ist es nötig, Ladekabel an Hochleistungsschnellladesystemen mit einem System zur aktiven Kabelkühlung auszustatten. Dabei wird eine verhältnismäßig dünne Kupferleitung von einem Fluid umflossen und gekühlt. Die Kühl- bzw. Pumpeinrichtung ist im Ladepunkt untergebracht. Um sicherzustellen, dass ein Aussetzen der Kühlwirkung erkannt wird und Kabel vor der Überhitzung geschützt werden, erfolgt zudem eine Fernüberwachung von Temperaturen und Zuständen des Kabelsystems.

ABB Terra HP Familie erfüllt die Anforderungen

Die ABB Terra HP Familie bietet all dies. So wird sowohl das Laden von Elektrofahrzeugen auf 400 Volt Ladespannung bei 375 bzw. 500 Ampere als auch das Laden von Elektrofahrzeugen auf 800 Volt Ladespannung mit bis zu 500 Ampere unterstützt.

Um einen zuverlässigen und professionellen Betrieb zu gewährleisten, werden alle ABB Terra Ladesysteme aus der ABB-eigenen Leitwarte unter Verwendung der ABB Connected Services Cloud kontinuierlich überwacht und ferngesteuert. So werden nachhaltig Störfälle vermieden. Die ABB Connected Services Cloud ist Teil des ABB Ability™ Angebotes, hinter welchem sich die konsequente Umsetzung von Industrie 4.0 und Digitalisierungsbestrebungen verbergen.

„Vehicle2-Grid“-Technologien

Diskussionsbedarf besteht hinsichtlich der Frage, ob bestehende Energienetze die hohen Ladeleistungen und zu übertragenen Energiemengen bereitstellen können. Analysen zeigen, dass der Gesamtenergieverbrauch einer rein elektrischen Mobilität bereits heute sehr gut zu kompensieren wäre und zukünftig sogar vollständig mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden könnte.

Die Herausforderung besteht jedoch vor allem darin, Leistungskapazitäten in noch unbekannter Höhe zum definierten Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen und Netzbereiche auszubauen, die zukünftig benötigte Leistungskapazitäten heute noch nicht bieten.

Abhilfe könnten sogenannte „Vehicle2-Grid“-Technologien schaffen, die darauf abzielen, Elektrofahrzeuge der Zukunft stärker in das Energie- bzw. Netzmanagement einzubinden. Verläuft die Verbreitung der Elektromobilität parallel und abgestimmt zum Wandel in der Energiewirtschaft, so können sich beide Felder in ihrer Entwicklung begünstigen.

Schnellladung mit 50 Kilowatt weiterhin wichtig

Unter Berücksichtigung des weiterhin und zukünftig bestehenden Bedarfs an Schnellladung mit einer Ladeleistung von 50 Kilowatt, der großen Flexibilität und Interoperabilität sogenannter Multistandard-Schnelllader (bis zu 3 unterschiedliche Ladestecker an einem Ladesystem) und der Tatsache, dass nicht jedes Elektrofahrzeug mittelfristig hochleistungsschnellladefähig sein wird, empfiehlt die ABB ihren Kunden und Betreibern weiterhin den Aufbau von 50 Kilowatt-Ladesystemen, wie z.B. dem ABB Terra 53 CJG Schnellladesystem.

Die Ergänzung der bestehenden Infrastruktur durch ein Hochleistungsschnellladesystem bietet sich mittelfristig an einigen Standorten an, insbesondere entlang von Schnellstraßen oder Autobahnen.

Reichweitengewinn durch Hochleistungsschnellladen und Weiterentwicklung der Batteriesysteme

Abschließend kann der einleitenden Frage, ob die Technologie des Hochleistungsschnellladens das Reichweitenproblem von Elektrofahrzeugen lösen wird, bedingt zugestimmt werden. Während zeitnah Fahrer von Premium-Elektrofahrzeugen in den Vorzug einer Ladung mit sehr hohen Leistungen kommen und dadurch ihre empfundene Reichweite deutlich erhöhen können, wird ein Großteil der Fahrer von Elektrofahrzeugen davon zunächst nicht profitieren.

Hoffnung und Zuversicht werden jedoch durch die auch im Massensegment stark ansteigenden Batteriekapazitäten bei gleichzeitig sinkenden Preisen der Elektrofahrzeuge vermittelt. Während bisher Batteriekapazitäten von etwa 20 Kilowattstunden in Fahrzeugen verbaut wurden, weisen neuere und preislich attraktive Modelle Kapazitäten von etwa 40 bis 60 Kilowattstunden und somit Reichweiten von 300 bis 500 Kilometern auf.

Zuversichtlich sollte uns somit stimmen, dass sich sowohl Ladeleistungen als auch Kapazitäten auf ein praktikables Niveau entwickeln und somit schon sehr bald ein Elektrofahrzeug auch aus finanzieller Sicht zu einer wirklichen Alternative wird.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2018 Januar/Februar