Der Stellarator W7-X als Alternative zum Tokamak

Beitrag von Prof. Dr. Thomas Klinger, Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik, Teilinstitut Greifswald

In der Fusionsforschung konzentriert man sich inzwischen auf zwei Konzepte für den magnetischen Einschluss, den Tokamak und den Stellarator.

Unterschied Tokamak und Stellarator

Gemeinsam ist beiden Konzepten, dass ein toroidales magnetisches Feld von einem Satz planarer Spulen erzeugt wird. Unterschiedlich ist die Methode, die passende Verscherung des magnetischen Feldes zu erreichen: Im Tokamak wird mit Hilfe einer Spule im Zentrum ein starker Strom in das – elektrisch leitfähige – Plasma induziert. Im Gegensatz dazu führen im Stellarator die externen Spulen alleine zur Verscherung des magnetischen Feldes. Der vielleicht wichtigste Unterschied zwischen Tokamak und Stellarator ist die Tatsache, dass im Tokamakplasma ein starker Strom (im Bereich von 1 Million Ampère) fließt, das Stellaratorplasma aber nahezu stromfrei ist. Hinzu kommt, dass ein Tokamakplasma sich in einem selbstorganisierten Gleichgewicht befindet (für den Stromfluss wird das Plasma benötigt, das wiederum auf den Stromfluss angewiesen ist), das Gleichgewicht des Stellarators wird dagegen fast ausschließlich von den Spulen festgelegt. Beide Aspekte führen dazu, dass ein Stellaratorplasma vom Prinzip her stabiler ist als ein Tokamakplasma. Auf der anderen Seite führt der Strom im Tokamakplasma bereits zu beachtlicher Plasmaheizung. Hinzu kommt, dass der Tokamak eine relativ einfache Geometrie hat und aufgrund seiner Symmetrie unmittelbar einen guten magnetischen Einschluss der Plasmateilchen ermöglicht. Diese Symmetrie fehlt dem Stellarator, und als Folge ist der magnetische Einschluss nicht optimal.

Stellaratoren und deren Optimierung

Der Tokamak stellt trotz seiner oben erwähnten Nachteile das derzeit beste magnetische Einschlusskonzept dar. Es ergeben sich zwei Fragen: Erstens, was ist das eigentliche Problem beim Stellarator und zweitens, warum überhaupt das Stellaratorkonzept verfolgen, wenn der Tokamak doch gut funktioniert?

Die zweite Frage ist leichter zu beantworten: Durch seine erheblich besseren Stabilitätseigenschaften ist ein Stellarator leichter zu steuern und robuster zu betreiben. Zudem hat der Stellarator den weiteren Vorteil, dass kein Strom periodisch induziert werden muss und das Plasma damit dauerhaft eingeschlossen werden kann. Subtiler ist die Antwort auf die erste Frage: Hier waren 20 Jahre intensive Forschung am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München nötig, bevor man dem Problem und seiner Lösung auf die Spur gekommen ist. Diese Lösung wird gemeinhin als „Stellarator-Optimierung“ bezeichnet. Ein wichtiger Schritt hierfür war, nichtebene Spulen zu verwenden: Die Form dieser Spulen lässt sich in gewissen Grenzen frei gestalten, was eine systematische Auswahl der magnetischen Feldgeometrie ermöglicht. Damit wurde es möglich, entlang eines Kriterienkataloges das Magnetfeld des Stellarators so anzupassen, dass es in gewisser Weise „optimal“ ist. Die sieben Kriterien lauten:

  1. gute magnetische Flächen
  2. gute Eigenschaften des Plasmagleichgewichtes
  3. hohe Stabilität des Plasmas
  4. geringe Wärmeverluste des Plasmas
  5. geringe Gleichgewichtsströme
  6. guter Einschluss schneller Teilchen
  7. einfach zu realisierende Spulen

Die Überprüfung dieser Kriterien bei gegebener Magnetfeldgeometrie ist aufwendig und erst mit hinreichend schnellen Computern (ab den späten 1980er-Jahren) konnten die Berechnungen erfolgreich durchgeführt werden. Ein gemäß den oben genannten sieben Kriterien optimiertes Magnetfeld sollte es erlauben, die guten Eigenschaften des Stellarators mit der Leistungsfähigkeit des Tokamaks zu verbinden. Das Ergebnis dieser Optimierungsrechnungen ist das Magnetfeld und der zugehörige Spulensatz des Stellarators Wendelstein 7-X (Abb. 1). Die Berechnungen waren vielversprechend und rückten das Ziel, einen Fusionsreaktor nach dem Stellerator-Konzept bauen zu können, in greifbare Nähe. Vorher galt es aber, eine experimentelle Anlage zu bauen, deren Plasmavolumen groß genug ist, um alle relevanten Eigenschaften des optimierten Stellarators in der Realität nachweisen zu können. Diese Forschungsanlage wurde an einem eigens gegründeten zweiten Standort des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik im Mecklenburg-Vorpommerschen Greifswald errichtet.

Technologie

Aus ingenieurtechnischer Sicht setzt sich Wendelstein 7-X aus fünf identischen Modulen zusammen. Jedes Modul besteht aus zwei spiegelsymmetrisch aufgebauten Halbmodulen mit je fünf verschiedenen nicht-planaren und zwei planaren Spulen. Insgesamt hat das Magnetsystem von Wendelstein 7-X sieben verschiedene Spulengeometrien, die sich mit einer fünfzähligen Symmetrie in der gewünschten Torusform anordnen. Alle Spulen eines Typs sind über Stromverteiler miteinander in Serie geschaltet, und jeder dieser Stromkreise kann separat gesteuert werden, was eine hohe experimentelle Flexibilität erlaubt. Der eingespeiste Strom beträgt bis zu 16.000 Ampère für planare und 18.500 Ampère für nicht-planare Spulen. Abbildung 2 zeigt das Computermodell (links) und die Realisierung (rechts) eines Moduls des Wendelstein 7-X. Jedes dieser Magnetmodule hat ein Gewicht von etwa 120 Tonnen. Die 50 nicht-planaren und die 20 planaren Spulen aus einer NiobTitan-Legierung sind supraleitend, um dauerhaft ein starkes Magnetfeld aufbauen zu können, wofür sie auf 3,8 Kelvin (das sind ca. –270°Celsius) abgekühlt werden müssen. Die geschraubten Befestigungen der Spulen an der ringförmigen zentralen Tragstruktur müssen im Magnetfeldbetrieb mechanische Spannungen bis über 100 MPa abfangen können. Zwischen dem Außengefäß und dem Plasmagefäß befindet sich der Kryostatbereich, in dem sich alle kryogenen Komponenten befinden. Der Kryostatbereich wird separat evakuiert. 254 Stutzen in über 100 verschiedenen Ausführungen führen von außen durch den Kryostaten in das Plasmagefäß. Alle Flächen des Außengefäßes, des Plasmagefäßes und der Stutzen befinden sich auf Raumtemperatur und sind mit einer mehrlagigen thermischen Isolation versehen, um den Wärmeeintrag auf die kryogenen Komponenten zu minimieren. Zusätzlich ist ein thermischer Schild installiert, der mit Helium-Gas auf 70 Kelvin gekühlt wird.

Den Hauptkontakt zwischen dem heißen Plasma und der kalten Wand bildet der sogenannte Divertor. Hier wird ein wesentlicher Teil des Wärme- und Teilchenflusses aufgefangen und geregelt. Durch Rekombination der Ionen mit Elektronen der Wand entstehen neutrale Gasteilchen, die von starken Pumpen (Kryopumpen) abgesaugt werden. Bei Wendelstein 7-X kommt das Inseldivertor-Konzept zum Einsatz. Hierbei werden hochgradig wärmebeständige „Prallplatten“ so positioniert, dass sie bestimmte magnetische Randstrukturen, die sogenannten „Inseln“, schneiden. Der Inseldivertor ist vollständig wassergekühlt und muss in den am stärksten wärmebelasteten Bereichen einen Wärmefluss von bis zu 10 Megawatt pro Quadratmeter bewältigen, und dies für die in dieser Demonstrationsanlage anvisierte Dauer von bis zu 30 Minuten. Dieser Wärmefluss entspricht etwa dem, der auf ein Raumschiff bei Wiedereintritt in die Erdatmosphäre einwirkt, dort allerdings „nur“ für einige 100 Sekunden. Darüber hinaus ist der gesamte Innenraum mit wassergekühlten Wandelementen ausgekleidet – auf Wärmesenken montierte Graphitkacheln sowie wassergekühlte Stahlpaneele. Die Gefäßeinbauten mit einer Gesamtfläche von 265 Quadratmetern werden über 630 Kühlleitungen mit einer Gesamtlänge von ca. 8000 Metern Länge mit Wasser versorgt. Erst durch ein vollständig wassergekühltes System von Gefäßeinbauten ist Wendelstein 7-X in der Lage, bei 10 Megawatt Mikrowellen-Heizleistung für bis zu 30 Minuten ein Plasma aufzubauen und kontrolliert aufrecht zu erhalten.

Mehr als 12 Jahre wurde an Wendelstein 7-X gebaut und über 1,3 Millionen Montagestunden wurden dafür aufgewendet. Nach über 20 Jahren Projektlaufzeit wurde die Anlage 2022 endgültig fertiggestellt und befindet sich nunmehr im wissenschaftlichen Vollbetrieb.

Forschung

Mit dem Bau der Wendelstein-Anlage verfolgte man im Wesentlichen vier Ziele. Es sollte gezeigt werden, dass:

  1. es technisch möglich und umsetzbar ist, einen optimierten Stellarator mit modularen supraleitenden Spulen zu bauen,
  2. sich der optimierte Stellarator in Hinblick auf Einschluss des Plasmas, StaAbb. 3: Zeitspur des Rekordplasmas mit 1.3 GJ Energiedurchsatz. Im oberen Diagramm werden Mikrowellen-Heizleistung (schwarz) und Plasmateilchendichte (blau) gezeigt. Das mittlere Diagramm zeigt die Bewegungsenergie im Plasma (schwarz) und den Plasmastrom entlang des Magnetfeldes (blau). Das untere Diagramm zeigt die zeitliche Entwicklung der Wandtemperatur am Divertor an drei verschiedenen Positionen bilität und Steuerbarkeit dem etablierteren Tokamak-Konzept als ebenbürtig erweist,
  3. es gelingt, hohe Plasmatemperaturen und passend hohe Plasmadichten mit hoher Plasmastabilität, zuverlässigem Divertorbetrieb, geregelter Wärmeund Teilchenabfuhr sowie guter Dichte- und Verunreinigungskontrolle zu kombinieren, und
  4. es gelingt, fusionsrelevante Plasmaparameter für bis zu 30 min unter konstanten Bedingungen aufrecht zu erhalten.

Ein aktuelles Forschungsergebnis ist in Abb. 3 gezeigt, wo der Stellarator Wendelstein 7-X ein Plasma völlig stabil für die Dauer von 500 s aufbaut, allerdings zunächst noch mit einer reduzierten Heizleistung von 2,7 MW. Man erkennt gut die Stabilität des Plasmas an allen Kenngrößen, bis zu den Punkten wo sich nach und nach die Mikrowellengeneratoren (sogenannte Gyrotrons) ungeplant abschalten. Dies ist ein wichtiger Schritt in Richtung des genannten Ziels 4.

Die Erfüllung der oben genannten Ziele dient dem prinzipiellen Nachweis, dass der optimierte Stellarator die notwendigen Voraussetzungen für ein Fusionskraftwerk erfüllt. Es handelt sich bei Wendelstein 7-X nicht um ein Fusionsexperiment in dem Sinne, dass Fusionsreaktionen studiert werden sollen. Vielmehr sollen in diesem Experiment in Wasserstoff- bzw. Deuterium-Plasmen Bedingungen geschaffen werden, die eine glaubwürdige Extrapolation auf Kraftwerksdimensionen erlauben. Eine solche Extrapolation auf Basis von Wendelstein 7-X hätte ein Plasmavolumen von 1500 m3 (statt jetzt 30 m3) und einen Durchmesser von etwa 45 m (statt jetzt 16 m) und würde 3 GW thermische Fusionsleistung erbringen.

Dieser Artikel ist eine gekürzte und aktualisierte Fassung von T. Klinger und B. Kemnitz, Naturwissenschaftliche Rundschau Ausgabe 10, Seite 581 (2015).

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2024 SEP/OKT