Beitrag von Dr. Josef Schweinzer,Max-Planck Institut für Plasmaphysik, Garching
Die Fusionsforschung, insbesondere jene, die auf dem Konzept des magnetischen Einschlusses basiert, steht an der Schwelle zu einer potenziell bahnbrechenden Ära der Energieerzeugung. In diesem Kontext spielte und spielt der Tokamak ASDEX Upgrade (AUG), betrieben am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching, eine wichtige Rolle. Als eine der führenden Forschungsanlagen im europäischen Fusions-Forschungsverbund EUROfusion leistet AUG richtungsweisende Beiträge für die Entwicklung der weltweiten Fusionsforschung und hatte massiven Anteil am wissenschaftlichen Erfolg von JET (Joint European Torus) sowie großen Einfluss auf das Design von ITER (siehe Beitrag von H. Zohm und T. Donné in diesem Heft).
AUG ist ein Tokamak mittlerer Größe, welcher mit einer hohen Heizleistung von bis zu 30 MW ausgestattet ist, sodass trotz der viel geringeren Gesamtleistung im Vergleich zu einem Kraftwerk dennoch Leistungsdichten derselben Größenordnung am Plasmarand erzeugt werden können. Damit sind Methoden und Verfahren der Plasmaerzeugung und Optimierung, die an AUG entwickelt werden, auch für einen künftigen Reaktor relevant, da – anders als im Plasmazentrum – am Plasmarand und im Divertor sehr ähnliche Plasmaparameter erzielt werden. Der sogenannte Divertor stellt ein Konzept zur kontrollierten Teilchenund Energieabfuhr mittels einer speziellen Formung des Magnetfelds am Plasmarand dar (siehe Abb. 1). Dieses Konzept wurde erstmals am Garchinger Vorgängerexperiment ASDEX eingesetzt und wird an AUG kontinuierlich weiterentwickelt. AUG befindet sich derzeit inmitten eines ehrgeizigen Ausbaus, der ab Herbst 2024 weitere einzigartige Möglichkeiten zur Untersuchung neuartiger Divertorgeometrien bieten wird.
Die wissenschaftlichen Untersuchungen an AUG umfassen eine Vielzahl von Aspekten der fusionsorientierten Plasmaphysik. International richtungsweisende Ergebnisse wurden unter anderem bei Untersuchungen des Plasmarandes und dessen Wechselwirkung mit Wandmaterialien erzielt.
Die überwiegende Mehrheit der frühen Tokamak-Anlagen verwendete Graphit als Divertor- und Wandmaterial, wegen dessen guten thermomechanischen Eigenschaften. Allerdings wurde bereits früh deutlich, dass Graphit zwar für Experimente gut geeignet ist, jedoch nicht in einem künftigen Kraftwerk verwendet werden kann. Dies liegt an der starken Erosion durch das Plasma. Des Weiteren bindet Kohlenstoff die Brennstoffe Deuterium und Tritium chemisch an sich, wenn beide sich an Flächen mit niedriger Wärmebelastung niederschlagen. Dies führt zu einem aus Sicherheitsgründen nicht tolerierbar hohem Tritiuminventar.
Hinsichtlich Erosion stellt Wolfram das ideale Wandmaterial dar. Das robuste Metall zeichnet sich durch einen sehr hohen Schmelzpunkt, eine hohe mechanische Stabilität sowie eine niedrige physikalische Zerstäubung bei Beschuss mit Wasserstoffisotopen aus. Allerdings führt bereits eine kleine Menge im Plasma zu enormen Strahlungsverlusten, da Wolfram auch im heißen Plasmazentrum nicht vollständig ionisiert wird, sondern gebundene Elektronen behält, die bei ihren Übergängen massiv Ultraviolett- und Röntgenstrahlung abgeben und damit das Plasma abkühlen.
Der pionierhafte Wechsel von der Graphit- zu einer Wolframwand wurde an AUG daher schrittweise durchgeführt und im Jahr 2007 abgeschlossen. Um im Zentralplasma die starken Strahlungsverluste durch Wolfram zu vermeiden, mussten danach Methoden der Plasmaerzeugung und Optimierung angepasst werden. Die sehr erfolgreichen Wolfram-Experimente an AUG haben wesentlich dazu beigetragen, dass am europäischen JET ein Wolfram-Divertor installiert wurde (2009–2011). Infolgedessen entschied auch das internationale ITER-Projekt im Jahr 2013, anstelle eines Graphit-Divertors von Betriebsbeginn an einen Wolfram-Divertor zu nutzen. Es kann gegenwärtig davon ausgegangen werden, dass auch im Hauptraum von ITER Wolfram als Wandmaterial zum Einsatz kommen wird. Für das Demonstrationskraftwerk stellt Wolfram sowieso das Referenzmaterial dar.
Die Forschungsanlage AUG hat sich insbesondere als Pionier und Wegbereiter für die Qualifizierung von Wolfram als reaktor-relevantes Wandmaterial in der weltweiten Fusionsgemeinde einen herausragenden Ruf erarbeitet und die Entwicklung federführend bestimmt. Neben den experimentellen Resultaten ist auch das tiefgreifende physikalische Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse hervorzuheben, welches durch das AUG-Team aufgebaut wurde.
Mit der relativ zur Größe der Anlage höchsten Heizleistung unter allen aktuellen Tokamaks und mit seiner reinen Wolframwand gilt AUG weltweit als das Flaggschiff, um die Kompatibilität von Hochleistungs-Plasmen mit einer Vollmetallwand zu untersuchen.
Die Experimente an AUG führen somit zu Lösungen für verbliebene Probleme eines künftigen Fusionskraftwerks. Allerdings lassen sich die jeweils vorteilhaften Bedingungen an AUG nicht in einer einzigen Plasmaentladung vereinigen. Um die Relevanz von AUG-Resultaten zu untermauern, bedarf es aus physikalischen und technischen Gründen einer größeren Anlage. Diese Aufgabe der Größenskalierung (siehe Abb. 1) übernahm bis Ende 2023 JET, der bis dato größte Tokamak der Welt. Mit dem Ende des JET-Betriebs wird seine Rolle ab ca. 2026 von JT-60SA übernommen werden. JT-60SA, ein Tokamak in JET-Größe mit supraleitenden Spulen, wird in Japan in Gemeinschaft zwischen EU und Japan aufgebaut.
Mit der rasanten Entwicklung der US Firma Commonwealth Fusion Systems und deren im Aufbau befindlichem SPARC Tokamak hat erstmals ein Vertreter des privaten Sektors einen Level an Bedeutung, Schlagkraft und Kompetenz gewonnen, der die Anwendung von AUG-Resultaten und Erkenntnissen für die Planung des SPARC-Betriebs als win-win-Situation für das IPP als auch CFS erscheinen lässt. Bei nur ca. 10% größerem Radius im Vergleich zu AUG soll SPARC dank neuartiger Hochtemperatur-Supraleiter Technologie ein ca. vierfach stärkeres Magnetfeld von 12 Tesla erzeugen und damit break-even zwischen Fusions- und Zusatzheizleistung erzielen. CFS plant, dieses Konzept zu einem kompakten Hochfeld-Fusionsreaktor weiterzuentwickeln (ARC). Das AUG-Team bereitet aktuell seine Mitarbeit sowohl an JT-60SA als auch an SPARC im Rahmen von Vergleichsexperimenten vor.
Eine Anlage in nahezu Reaktorgröße stellt der internationale Testreaktor ITER dar, der im nächsten Jahrzehnt im französischen Cadarache in Betrieb gehen wird. Bei der Vorbereitung auf den ITER-Betrieb spielt AUG eine Schlüsselrolle. Dabei beruht die ITER-Planung auf Computermodellen, die an AUG und an anderen Tokamaks weltweit gründlich validiert wurden. Weiters hilft AUG eine Vielzahl von technischen Herausforderungen bei ITER zu meistern, darunter auch die Steuerung und sichere Aufrechterhaltung des Fusionsplasmas in jeder erdenklichen Phase der Entladung. AUG trägt wesentlich dazu bei, diese Herausforderungen zu bewältigen, indem er die Grundlagenforschung vorantreibt und neue Technologien und Methoden der Tokamakbetriebs entwickelt, die später in ITER implementiert werden können.
Ein wesentlicher Teil der Bedeutung von AUG liegt daher gerade in der Zusammenarbeit mit komplementären Tokamaks größerer Bauart. Damit spielt AUG eine unverzichtbare Rolle in der internationalen Fusionsforschung. Durch seine hochentwickelte Technologie, die ständig verbessert wird und seine Flexibilität neue Ideen zügig umzusetzen, trägt AUG maßgeblich dazu bei, den Weg für die kommerzielle Nutzung der Fusionsenergie zu ebnen und die Menschheit in eine nachhaltigere Energiezukunft zu führen.
Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2024 SEP/OKT