Interview mit Milena Roveda, CEO Gauss Fusion, über den industriellen Bau von Fusionskraftwerken.
Technik in Bayern: Frau Roveda, seit Jahrzehnten wird an Universitäten und Instituten an Fusionsreaktoren geforscht. Seit kurzer Zeit dringen auch private Investoren in dieses Forschungsgebiet vor. Was macht diese so optimistisch?
Roveda: Das ist einfach zu erklären. Es gibt einige Faktoren, die in den vergangenen Jahren zu Veränderungen geführt haben. Bis jetzt lag die Forschung zur Fusion, wie Sie wissen, hauptsächlich in den Händen von Instituten, wie zum Beispiel dem Max-Planck-Institut, wo Prof. Dr. Hartmut Zohm, den Sie gut kennen, arbeitet. Doch von einem Forschungsinstitut allein kann diese Technologie nicht industrialisiert werden. Man braucht dazu die Industrie – und zwar nicht nur als Zulieferer, sondern als Bauherrn.
Ich werde oft gefragt, ob wir mit ITER konkurrieren. Ich antworte dann immer: Wir konkurrieren nicht, weil ITER kein industrielles Projekt ist. ITER soll Wissenschaft betreiben, nämlich Grundlagenforschung. Wir hingegen kommerzialisieren das, was bereits vorhanden ist.
TiB: Aber Sie bauen auch auf den Ergebnissen von ITER auf?
Roveda: Auf den Ergebnissen von ITER und auf den Ergebnissen von Wendelstein unter anderen. Natürlich. Es ist keine Konkurrenz, sondern wir ergänzen uns. Aber das, was wir mitbringen, was diese Institutionen nicht haben, ist Unternehmertum, also Entrepreneurship, wie das auf Neudeutsch so schön heißt. Wir sind wirklich Unternehmer, die das Ganze voranbringen. Wir konkurrieren nicht mit den Wissenschaftlern, wir kollaborieren mit ihnen und bringen etwas Neues auf den Tisch. Und das ist dieses Unternehmertum, das den Unterschied ausmacht.
TiB: Es gibt weltweit mehr als 40 Firmen, die sich mit der Fusion beschäftigen. Wie unterscheidet sich Gauss Fusion davon?
Roveda: Die meisten sind, wie wir auch, in der FIA organisiert, der „Fusion Industry Association“. Aber außer uns sind alle anderen Spin-Offs, also Ausgründungen von Universitäten oder Forschungsinstituten. Wir sind die einzige Neugründung, die von Unternehmern kreiert wurde, und ich sage ausdrücklich nicht von Firmen. Es gibt große Firmen bzw. Konzerne, die sind exzellent, aber diese werden mittlerweile meistens von Managern und nicht von Unternehmern geleitet.
TiB: Wer verkörpert bei Gauss Fusion dieses Unternehmertum?
Roveda: Wir haben einige Unternehmerfamilien mit im Boot. Da ist Frank Laukien, der das von seinem Vater mitgegründete Unternehmen Bruker leitet, das wissenschaftliche Instrumente herstellt. Bruker gilt als weltmarktführend in der Magnetresonanzspektroskopie. Oder die Familie Malacalza, eine prominente italienische Unternehmerfamilie, die mit der Firma ASG unter anderem die Magnete von ITER hergestellt hat. Dann haben wir noch die Familie von Pierre Prieux, dem Präsidenten von Alcen.
TiB: Frau Roveda, wie ist Ihre Karriere bisher verlaufen?
Roveda: Ich habe meine Karriere bei Bayer angefangen und dort zehn Jahre gearbeitet. Danach war ich mehr als 25 Jahre selbständig. Ich fühle mich eher als Unternehmerin, nicht als Angestellte. Das ist eine andere Einstellung.
TiB: Was bedeutet das für das Projekt der Fusion?
Roveda: Wichtig ist diese andere Mentalität: Wenn wir ein Problem haben, können wir es lösen, wenn wir es wirklich wollen. Wir können das hinkriegen. Das ist einer der Punkte, wo ich zuversichtlich bin, dass man diesen 30-jährigen Teufelskreis endlich durchbrechen kann. Gauss Fusion setzt sich den Unternehmerhut auf und wird den Bau des ersten industriell gefertigten europäischen Fusionskraftwerks managen.
TiB: Gibt es weitere Treiber für das Fusionskraftwerk?
Roveda: Da ist unter anderem die politische Situation in Europa, die zu gewaltigen Preiserhöhungen, insbesondere bei elektrischer Energie, geführt hat. In Italien gibt es Cafés, die über Jahrzehnte in Familienbesitz waren und nun schließen müssen, weil sie ihre Stromrechnung nicht mehr zahlen können. Ich glaube, das ist auch ein Weckruf für uns alle. Wir können uns nicht weiter abhängig machen, wir müssen in der Technologie der zukünftigen Energieerzeugung federführend sein.
TiB: Welche Strategie verfolgt Gauss Fusion, um dieses Ziel zu erreichen?
Roveda: Wir gehen pragmatisch vor. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Es gibt ein ganz eklatantes Materialproblem, denn es gibt keine Materialien, die über längere Zeit dem Neutronenbeschuss standhalten können. Wir werden sie in 30 Jahren auch nicht haben, also werden wir unseren Stellarator konsequent modular aufbauen, damit die kritischen Teile schnell ausgetauscht werden können und nicht ein volles Jahr Stillstand notwendig ist. Dazu lassen wir uns etwas einfallen, aber das ist keine Frage an die Physiker, sondern eine Frage an die Ingenieure.
TiB: Gibt es Themen, an denen Sie bei Gauss Fusion auch selbst an Innovationen arbeiten?
Roveda: Ja, da gibt es drei Themen. Zum einen sind es die Magnete, weil wir dieses Thema mit Bruker EAS und ASG ja im Haus haben. In diesem Bereich wollen wir sehr innovativ arbeiten. Der zweite Bereich ist Tritium und der Brennstoffkreislauf und das dritte Thema die Plasmaheizung. Letzteres wird derzeit mit Gyrotrons gemacht – das sind Mikrowellenoszillatoren – wobei man für einen Tokamak 150 bis 180 Stück braucht, deren Wirkungsgrad nicht unerheblich in die Gesamtbilanz eingeht.
TiB: Können Sie uns einen Überblick über die wichtigsten europäischen Projekte geben?
Roveda: In Deutschland gibt es die vier bekannten Firmen: im Bereich Magnetfusion außer Gauss Fusion noch Proxima Fusion, im Bereich Laserfusion Focused Energy und Marvel Fusion. In Frankreich gibt es die Firma Renaissance, die einen Stellarator baut, aber mit flüssigen Außenwänden, auch eine sehr innovative Technik. Die Firma Thales in Frankreich hat auch ein Start-Up mit dem Namen GenF gegründet, wie Generation Fusion. Sie nutzen Laser von Thales. Dann gibt es Novatron, eine Firma in Schweden. Ich glaube, das sind jetzt die wichtigsten. Wichtig ist noch, dass sich vor kurzem führende europäische Unternehmen zusammengeschlossen haben, um die European Fusion Association (EFA) zu gründen. Das Ziel ist es, die europäische Industrialisierung der Fusionsenergie zu beschleunigen.
TiB: Welche Chancen hat die europäische Industrie?
Roveda: Sehr gute. Wir haben die längere und bessere Grundlagenforschung und die bessere Industrie. Das größte Fusionsunternehmen momentan ist Commonwealth Fusion in den USA, das zwei Milliarden US-Dollar Kapital bekommen hat. Sie kommen aber zu uns nach Deutschland und kaufen hier Teile bei unserer Industrie. Wir haben gute Chancen, dass es in Europa wieder ein Gebiet geben kann, auf dem wir führend sind. Wir könnten tatsächlich mit Fusion diese industrielle Renaissance in Europa haben, das heißt Wohlstand und Arbeitsplätzen für unseren Kontinent. Aber wir müssen endlich etwas machen. Momentan reden wir zu viel und tun zu wenig.
TiB: Nicht nur die USA stehen in hartem, zeitlichem Wettbewerb zu uns, sondern vor allem China. Wie weit sind die Chinesen?
Roveda: Die chinesische Fusionsindustrie hat den Vorteil, dass sie massiv von der chinesischen Regierung subventioniert wird, denn China möchte vor allem politisch getrieben die Nummer eins in dieser Zukunftstechnologie werden. Bei ITER arbeiten noch alle beteiligten Länder zusammen, u.a. auch China, Russland, Korea und Indien. Doch bei industriellen Fusionskraftwerksprojekten herrscht knallharte Konkurrenz. Und China baut schon an den ersten Prototypen.
TiB: Sie haben vermutlich bei Gauss Fusion einen Plan gemacht, wie Sie ein funktionierendes Kraftwerk bis Mitte der 2040- er Jahre bauen können. Wie sieht der aus?
Roveda: Noch sind wir in der Planung. Wir haben diese 20 Jahre in drei Phasen unterteilt. Die erste Phase ist das „Conceptual Design“, in der wir unser Konzept tatsächlich zu Papier bringen. Da befinden wir uns jetzt gerade und werden damit bis nächstes Jahr fertig sein. Danach kommt die Phase des „Engineerings“, in der wir anfangen, die ersten Prototypen zu bauen. Das wird etwa 6–8 Jahre dauern. Die dritte Phase ist dann die echte Bauphase, die 8–12 Jahre dauern wird. Es wird kein rein deutsches Projekt sein, denn ich persönlich glaube nicht, dass irgendein Land, nicht mal die USA, die groß und reich sind, das allein schaffen könnte. Aber Europa kann das schaffen, nicht mit allen 27 Ländern, sondern nur mit einer Handvoll. Wenn diese sich zusammentun, dann können wir das hinkriegen. Das ist unsere Strategie.
TiB: Welche Rolle spielen die Prototypen? Baut man diese, um bestimmte kritische Funktionen zu testen?
Roveda: Ja, zum Beispiel die Montage der Magnete. Wir werden sehr genau untersuchen, inwieweit man diese Magnete auseinandernehmen und wieder zusammenbauen kann.
TiB: Ist das beim Stellarator nicht extrem schwierig, weil die Spulen ja so seltsam gewunden sind?
Roveda: Ja, die nichtplanaren Spulen sind etwas seltsam, aber wir haben den Verantwortlichen für die Magnete bei ITER bei uns, einen Mann mit 40 Jahren Berufserfahrung. Er ist zuversichtlich, dass das funktioniert. Und wir wollen das typisch deutsche „Overengineering“ vermeiden.
TiB: Braucht man die viele Energie aus der Kernfusion überhaupt und wozu?
Roveda: Es gibt zum Beispiel eine Studie der International Energy Agency. Dort wird die Zunahme des Strombedarfs in Europa bis 2050 konservativ auf 25% geschätzt. Bei aggressiverer Schätzung sind es 70%. Der Bedarf entsteht u.a. durch die Elektromobilität im Personenverkehr, aber auch im Schwerlastverkehr. Für Verkehrsträger, die nicht so einfach auf Batteriebetrieb umzustellen sind, also etwa Flugzeuge und Schiffe, muss man Wasserstoff und E-Fuels mit elektrischer Energie herstellen, was bisher nur mit schlechtem Wirkungsgrad möglich ist. Nicht zu vergessen die fortschreitende Digitalisierung, zu der man große Rechenzentren braucht, insbesondere wenn KI-Algorithmen verwendet werden. Es gibt auch Studien, die sagen, dass man die Fusion nicht in erster Linie für die elektrische Energie braucht, sondern eher als Prozesswärme für die Industrie und für die Herstellung von grünem Wasserstoff und E-Fuels.
Das Gespräch führten Walter Tengler, Fritz Münzel und Silvia Stettmayer
Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2024 SEP/OKT