Große Hoffnung, dass es endlich klappt

Energie für die Menschheit aus Kernfusion

Beitrag von Prof. Hartmut Zohm, Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Garching, www.ipp.mpg.de

Kernfusion, die Verschmelzung leichter Atomkerne zu schwereren Kernen, ist die Energiequelle der Sterne. In Sternen verschmelzen in einem mehrstufigen Prozess Wasserstoffkerne in der Form von Protonen zu Helium.

Grundlagen: Kernfusionsprozesse und der Plasmazustand

Dieser Prozess ist aber für die Nutzung auf der Erde zu ineffizient. Weitaus effizienter ist die Fusion der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium zu Helium und einem Neutron. Um diese Reaktion in Gang zu setzen muss das Wasserstoffgas jedoch stark erhitzt werden, denn die Kerne müssen sich auf Grund der thermischen Bewegung entgegen ihrer elektrischen Abstoßung so nahe kommen dass sie sich ‚berühren‘. Die hierzu notwendige Temperatur ist von der Größenordnung 200 Mio°C. Bei solch hohen Temperaturen sind die Elektronen der Atome nicht mehr an die Kerne gebunden, und das Wasserstoffgas liegt als Plasma vor, ein Gas aus geladenen Teilchen.

Die zentrale Frage der Kernfusionsforschung ist daher, ob man ein Wasserstoffplasma stabil und mit ausreichender Wärmeisolation so einschließen kann, dass die durch Kernfusion der Wasserstoffisotope erzeugte Leistung die zum Einschluss und zur Heizung des Plasmas benötigte Leistung übersteigt. Dabei macht man sich zu Nutzen, dass die bei der Fusionsreaktion entstehenden hochenergetischen He-Kerne (alpha-Teilchen) im Plasma eingeschlossen sind und dieses bei ihrer Thermalisierung durch Stöße aufheizen. Wenn es gelingt, die Wärmeverluste des Plasmas durch diese alpha-Teilchen Heizung zu decken, befindet sich das Plasma im gezündeten Zustand und benötigt keine externe Heizleistung mehr, man spricht auch vom thermonuklearen Brennen. Diese Bedingung kann durch das so genannte Lawson-Kriterium ausgedrückt werden, welches eine Bedingung an das zu erreichende Produkt von Teilchendichte, Ionentemperatur und Einschlussgüte, charakterisiert durch die so genannte Energieeinschlusszeit, darstellt. Dabei ist die Energieeinschlusszeit die Zeit in der das Fusionsplasma nach Abschalten der Heizung seinen Energieinhalt behält; sie muss für die Fusion mit magnetischem Einschluss im Bereich einiger Sekunden liegen.

Wie bei der Kernspaltung ist auch bei der Kernfusion die benötigte Brennstoffmasse viel geringer als bei chemischen Verbrennungsprozessen (für die Erzeugung einer Leistung von 1 GW für 1 Jahr werden nur 54 kg Tritium benötigt), im Gegensatz zur Spaltung wird der in einem Kernfusionskraftwerk erzeugte radioaktive Abfall aber keine Lagerung auf geologischen Zeitskalen benötigen. Des weiteren handelt es sich nicht um eine Kettenreaktion, so dass ein unkontrolliertes ‚Durchgehen‘ prinzipiell ausgeschlossen ist.

Wie soll ein Fusionskraftwerk realisiert werden?

In der Sonne kompensiert die Gravitationskraft der Sonnenmasse den Expansionsdruck des heißen Plasmas, auf der Erde ist dies nicht möglich. Man macht sich daher zu Nutze, dass die Plasmateilchen geladen und somit an Magnetfeldlinien gebunden sind: durch die so genannte Lorentzkraft werden geladene Teilchen auf eine Kreisbahn um die Magnetfeldlinie herum gezwungen. Ist das Magnetfeld stark genug dass der Radius der Kreisbahn klein gegen das Reaktorgefäß ist, hat man so einen effektiven Einschluss: das Plasma ‚schwebt‘ im Magnetfeld in der Reaktorkammer und berührt die Reaktorwand nur im (relativ kalten) Randbereich. Da die Plasmateilchen längs des Magnetfelds keine Kraft erfahren und sich somit frei bewegen können verwendet man in der Praxis Anordnungen in denen die Magnetfeldlinien sich zu einem magnetischen Torus schließen; so vermeidet man etwaige Endverluste entlang des Magnetfelds. In den letzten Jahrzehnten haben sich zwei Konfigurationen etabliert: der axisymmetrische Tokamak (Abb. 1 links) und der komplexer geformte Stellarator (Abb. 1 rechts). Beide Konfigurationen werden in Deutschland aktiv untersucht (siehe die Beiträge von J. Schweinzer und T. Klinger in diesem Heft).

Ein gänzlich anderer Zugang ist die Trägheitsfusion: hier wird das Wasserstoffgemisch durch Bestrahlung mit einem Laser schlagartig erhitzt und dabei komprimiert. Bei ausreichender Kompression soll der Brennstoff dann verschmelzen bevor er durch den Expansionsdruck des explosionsartig ablaufenden Prozesses auseinandergetrieben wird. Die Einschlusszeit ist also durch die Massenträgheit bestimmt (siehe Beitrag von M.Roth in diesem Heft).

Neben dem Plasmaeinschluss müssen für die Realisierung eines Fusionsreaktors komplexe technologische Herausforderungen gelöst werden (siehe Beitrag von K. Hesch in diesem Heft). Ein zentraler Punkt ist dabei die Realisierung des so genannten Brutblankets: da Tritium radioaktiv ist und eine kurze Halbwertszeit von 12,6 Jahren aufweist, kommt es in der Natur praktisch nicht vor. Es wird daher direkt in der Reaktorwand über Kernreaktionen der bei der Fusionsreaktion entstehenden Neutronen mit dem Brutmaterial Lithium erzeugt. Idealerweise sind Erzeugung und Verbrauch genau bilanziert, so dass von außen als Primärbrennstoffe nur Deuterium und Lithium zugeführt werden müssen.

Wo steht die Kernfusionsforschung?

Seit den 1950er-Jahren wird die Kernfusion als Energiequelle erforscht (siehe Beitrag von T. Donné in diesem Heft). Dabei wurden vor allem auf dem Gebiet des Plasmaeinschlusses große Fortschritte erzielt. Das oben angesprochene Tripelprodukt wurde dabei um mehrere Größenordnungen verbessert und liegt in heutigen Maschinen in der Nähe des ‚Breakeven‘, bei dem die im Plasma erzeugte Fusionsleistung der dem Plasma zugeführten Heizleistung entspricht. Abb. 2 zeigt die bisher erzielten Werte für das Tripelprodukt. Für das weltweit größte Tokamakexperiment JET (UK) sind diese im Bereich des Breakeven; ein Fusionskraftwerk muss allerdings noch höhere Werte im Bereich der Zündung erzielen. Dies soll vor allem durch eine Erhöhung der Energieeinschlusszeit geschehen. Dies erreicht man durch eine Vergrößerung des Plasmaradius. Das ITER Experiment, das derzeit in Cadarache (F) in internationaler Zusammenarbeit aufgebaut wird und das zum Ziel hat, die Netto-Energiegewinnung im Plasma zu demonstrieren, ist daher um einen Faktor zwei in der Lineardimension größer als JET (6 m bei ITER im Vergleich zu 3 m bei JET).

Diese Fortschritte zeigen sich auch bei der Energiegewinnung aus Fusion in heutigen Experimenten. Der JET Tokamak erzeugte im Jahr 2023 in einer Plasmaentladung 69 MJ Fusionsenergie (siehe Abb. 3). In der weltweit größten Laseranlage NIF (USA) wurden beim Abbrand eines Deuterium-Tritium Kügelchens über 3 MJ freigesetzt, mehr als die im Kügelchen deponierte Energie von 2 MJ. Diese und andere Erfolge haben dazu geführt, dass in den letzten Jahren vermehrt auch private Gelder in die Entwicklung der Kernfusion geflossen sind. Mehrere Länder unterstützen dies aktiv durch entsprechende staatliche Förderung. Es wird erwartet, dass damit in den nächsten Jahren der Prozess der Industrialisierung der Kernfusion einsetzt. Dabei fließt ein Großteil der Mittel in die Entwicklung von Fusionskraftwerken mit magnetischem Einschluss, da diese auf Grund der historischen Entwicklung deutlich weiter auf dem Weg zu einem integrierten Kraftwerkskonzept vorangeschritten sind. So ist das ITER Experiment ein Tokamak, der auf der Erfahrung der Forschung der letzten Jahrzehnte, nicht zuletzt auch der deutschen Forschungsanlage ASDEX Upgrade beruht. Es besteht also große Hoffnung, dass sich der lang gehegte Traum von der Energiegewinnung aus Kernfusion für die Menschheit in den nächsten Jahrzehnten endlich erfüllt.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2024 SEP/OKT