Wir in Bayern wollen eine 1:1-Umsetzung von EU-Vorgaben

Entwicklungen in Kreislaufwirtschaft, Klima- und Umweltschutz

Interview mit Dr. Monika Kratzer, Ministerialdirigentin im Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV), Abt. 7, Klimaschutz, technischer Umweltschutz, Kreislaufwirtschaft

Die TiB sprach mit Dr. Monika Kratzer über die Schwerpunkte ihrer Arbeit und über aktuelle Forschungsprojekte, die sich unter anderem um mit der Anpassung an den Klimawandel und den Umgang mit Ultrafeinstäuben befassen. Neben diesen Schwerpunkten ging es im Gespräch auch um die Kreislaufwirtschaft und die aktualisierte TA-Luft sowie um zukünftige Forschungsbereiche.

Technik in Bayern: Ihre Abteilung ist zuständig für Klimaschutz, technischen Umweltschutz und Kreislaufwirtschaft. Wo liegen die Arbeitsschwerpunkte?

Dr. Monika Kratzer: Diese wechseln von Jahr zu Jahr. Aktuell kommt neben dem Klimaschutz, der endlich den Durchbruch in der gesellschaftlichen Akzeptanz erreicht hat, allen Fragen rund um Abfallvermeidung und Kreislaufwirtschaft wieder höhere Präsenz zu. Das hängt ja auch zusammen, denn wenn ich Ressourcen schone, leiste ich gleichzeitig einen Beitrag im Klimaschutz. Die EU hat das mit dem green deal der neuen Kommission auch erkannt.

TiB: Inwiefern haben sich die Priorisierungen in den letzten Jahren verändert?

Dr. Kratzer: Thematische Schwerpunkte ändern sich immer wieder, das ist nichts Neues, das hängt auch stark von der aktuellen Gesetzgebung ab. Vor 10 Jahren wurde durch die Industrieemissionsrichtlinie ein völlig neues System der immissionsschutzrechtlichen Überwachung installiert, also musste hier viel für Anlagenbetreiber und Vollzugsbehörden an Koordination und Beratung zur Bewältigung der neuen Herausforderung geleistet werden. Durch Fridays for Future kann die intensive Auseinandersetzung mit Klimawandel endlich breit geführt werden. Vorher waren wir nicht untätig, aber die Bevölkerung nahm das Thema lediglich zur Kenntnis und wollte kein eigenes Handeln ableiten.

TiB: Können Sie uns einige aktuelle Forschungsvorhaben beschreiben?

Dr. Kratzer: Projekte zur Anpassung an den Klimawandel, z. B. „Stadt Klima Natur“: Durch Nachverdichtung und höhere Bebauung können Grünflächen und Luftschneisen gefährdet werden. Stadtbäume und beschattete Plätze mildern Hitzestress und steigern Lebensqualität. Dachbegrünungen dienen dem Wasserrückhalt und sind Tierrefugien. Mit „Pure Alps“ (nähere Informationen dazu im Infokasten am Ende des Beitrags) können wir den weltweiten Luftaustausch von Schadstoffen nachverfolgen, ihr Stärkerwerden und ihr Abschwächen, wenn Stoffe vermehrt eingesetzt bzw. aus dem Verkehr gezogen werden. Mit einem eigenen Projekt wollen wir uns an die Ultrafeinstäube, zu denen es aktuell weder eigenständige Grenz- noch Schwellenwerte gibt, herantasten. Wir wissen, je kleiner Partikel sind, desto eher gelangen sie in den Körper.

TiB: Welche Gesetzesänderungen/Novellierungen hatten/haben den größten Einfluss auf die fachliche Arbeit auch in den, dem StMUV nachgeordneten Behörden?

Dr. Kratzer: Das Umweltrecht besteht wegen der direkten Auswirkung auf die Wirtschaft heute maßgeblich aus EU-Vorgaben. Damit sind die dortigen Rechtsetzungsprozesse am wichtigsten. Leider ist das vielen in Verbänden, Gesellschaft und Politik immer noch nicht klar. Was dort Rechtskraft erlangt, kann später der Vollzug nicht mehr wegdiskutieren. Denn das ist der grundsätzliche Rahmen für das weitere Vorgehen, alles andere sind kleine Stellschrauben. Wir in Bayern wollen eine 1:1-Umsetzung von EU-Vorgaben – nicht ein mehr, weil das den Wettbewerb zulasten einheimischer Unternehmen verzerrt. Damit wäre es am sinnvollsten EU-Richtlinien direkt anzuwenden.

Der Vorteil wäre, die Länder und die Unternehmen hätten die ganze Umsetzungszeit zur Vorbereitung und müssten nicht erst abwarten, was der Bund plant, der oft diese Umsetzungszeit, in der Regel von drei oder vier Jahren, voll für sich ausschöpft. Am Ende müssen die Länder mit ziemlich Hau-Ruck in die tatsächliche Anwendung starten. Das belastet leider den oft sehr objektiv-sachlichen Umgang zwischen Vollzugsbehörde und Unternehmen.

TiB: Das Jahresthema des VDI ist „Zirkuläre Wertschöpfung“ und auch Ihre Abteilung trägt im Titel die Kreislaufwirtschaft. Welche Schwerpunkte sehen Sie hier?

Dr. Kratzer: Bewusster Umgang mit allen Produkten und sich bei Produktneuerfindungen schon über das Ende des Produkts Gedanken machen. Nicht mit Gewalt die Null-Abfall-Gesellschaft als Ziel ausgeben. Es ist schon nützlich, wenn problematische Produktanteile aus dem Kreislauf ausgeschleust werden. Und Produkte müssen auch wieder reparierbar sein. Das hat auch die EU eingesehen. Die öffentliche Debatte ist wichtig und Abfall sollte aus der Schmuddelecke heraus, es ist eine wichtige Ressource. Von der Gesellschaft wünsche ich mir, dass sie weitgehend Sekundärrohstoffe als gleichwertig akzeptiert und auch einsetzt. Das ist leider absolut noch nicht der Fall. Gesellschaftliche Forderung und Handeln klaffen auch hier auseinander.

TiB: Mitte des Jahres soll eine aktualisierte TA-Luft herauskommen. Was sind die Eckpunkte und wie sollen sie umgesetzt werden?

Dr. Kratzer: Auch die TA Luft wird bestimmt durch die Umsetzung von EUVorgaben, den Best verfügbaren Techniken (BVT), die EU-weit den Stand der Technik festschreiben. Die Umsetzung stellt sowohl die Industrie als auch die Behörden vor große Herausforderungen, da neben den anspruchsvollen technischen Anforderungen auch unterschiedliche Umsetzungs- und Übergangsfristen festgelegt werden. Ich sehe da die Ziellinie für das Inkrafttreten nicht so nah. Wir sollten Machbares als Vorgabe setzen und nicht alles gleichzeitig wollen, das geht schief. Zukünftig sollten auch die BVT-Anforderungen in eigenen sektoralen Verwaltungsvorschriften, wie z. B. für die Abfallbehandlung, umgesetzt werden, um die anspruchsvollen Fristsetzungen der EU sicherer zu erfüllen.

TiB: Welcher Bereich Ihrer Abteilung wird in den nächsten Jahren noch an Bedeutung zunehmen und wo sehen Sie den größten Forschungsbedarf?

Dr. Kratzer: Der Bedarf an Forschung wird in meinen Themenbereichen allgemein nicht ausgehen, der Wandel ist stetig, insbesondere, wenn wir weiter an der Spitze der Industrienationen mithalten wollen. Wir müssen uns auch wieder mehr für Chancen von neuen Möglichkeiten öffnen. Künftige Geschäftsfelder werden sich fundamental von heutigen – auch sehr erfolgreichen – unterscheiden. Die Regeln, was nicht geht, kommen heute oftmals schon bevor ein Produkt oder ein Projekt zu Ende gedacht ist, geschweige denn ausprobiert. Wir lehnen vieles theoretisch ab oder zerreden es so, dass Ängste entstehen, dann kommt es nie bis zur Praxis. Erst dort kann ich aber feststellen, ob etwas sinnvoll oder wirksam ist. Also wieder etwas mehr Zutrauen in Neuerungen – das wünsche ich mir. Ein unterschätztes Umweltmedium, das in den künftigen Jahrzehnten extreme Bedeutung erlangen wird, ist meines Erachtens übrigens der Lärm.

TiB: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führten Fritz Münzel und Silvia Stettmayer

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2020 Mai/Juni